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Kultur: Ich sah dein Bild ganz unverhüllt

Thielemann, Dresden und die Operette.

Er hat sein Handwerk eben von der Pike auf gelernt. Damals, als Kapellmeister in Gelsenkirchen, Karlsruhe und Hannover musste Christian Thielemann natürlich auch Operette dirigieren. Und seit 2010 tut er es wieder: beim ZDF-Jahresendkonzert aus der Semperoper, zusammen mit der Dresdner Staatskapelle, deren Chef er seit dem Herbst ist. Jetzt liegt pressfrisch der dritte Silvester-Mitschnitt vor – und Thielemann trifft auch bei Emmerich Kalman wieder den rechten Ton: schmissig-feurig in den Csardas- und Polka-Stücken, seidig-geschmeidig bei den puccinesken Walzerkantilenen.

Als Solist mit passendem slawischen Einschlag steht ihm Piotr Beczama zur Seite. Langsam ist Beczamas lyrischer Tenor im Repertoirebetrieb der großen Häuser gereift, als Rolando Villazons Stimmkrisen begannen, wurde er in die erste Reihe katapultiert. Genau im rechten Moment. Denn jetzt steht er in der Blüte seines Könnens: „Ich sah dein Bild ganz unverhüllt, so wie ich nie dich sah“, schmachtet er im Hit aus Kalmans „Veilchen vom Montmartre“, „Küsse mich, so flehte ich – und du, du sagtest ja.“ Leidenschaftlich strahlt sich Beczama durch die Wunschkonzertnummern, bis der Saal rast.

Wenn Christian Thielemann die Wagner-Partituren mal zur Seite legt, um die Welt durchs Champagnerglas zu betrachten (wie es in der „Zirkusprinzessin“ heißt), freut sich natürlich seine Plattenfirma Deutsche Grammophon über die populistischen Seitensprünge. Pikant an der Sache ist nur, dass Thielemann ausgerechnet an der Semperoper mit der leichten Muse flirtet – wo doch in Dresden das letzte selbstständige Operettentheater Deutschlands beheimatet ist.

Weit draußen, im Vorort Leuben, spielt die Staatsoperette in einem Provisorium von 1947. Seit 2002 wird der wackeren Truppe ein Umzug in die Innenstadt versprochen, immer wieder tauchten neue Standorte auf und wurden verworfen, derzeit heißt es, ein ehemaliges Kraftwerk beim Bahnhof Dresden-Mitte werde für 86 Millionen Euro bis 2016 zu einem Kulturzentrum umgebaut, in dem neben dem Theater „Junge Generation“ und kreativen Unternehmen auch die Staatsoperette unterkommen solle.

Zwar haben Bund und Bundesland gerade zehn Millionen Euro aus dem „Stadtumbau Ost“ für das Projekt zugesagt, doch so recht mag man dem Frieden noch nicht trauen. Schließlich hat die Stadtverordnetenversammlung gerade erst nach zähem Ringen beschlossen, parallel ein weiteres Großprojekt zu stemmen, nämlich den Umbau des Kulturpalastes aus DDR-Zeiten gegenüber der Frauenkirche für die Dresdner Philharmonie. Ohne kollegiale Hilfe von den Unterhaltungstheaterleuten wäre das Thielemann’sche ZDF-Silvesterkonzert 2012 übrigens geplatzt. Nachdem sich die ursprünglich engagierte Starsopranistin Diana Damrau kurzfristig krankgemeldet hatte, rettete Ingeborg Schöpf von der Staatsoperette den Abend. Frederik Hanssen

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