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Kultur: Ich singe Lieder in die blauwattierte Ferne

Von Daniel Kehlmann Man könnte Georg Kreisler einen der bedeutendsten Kabarettisten des 20. Jahrhunderts oder einen der besten deutschen Lyriker der Gegenwart nennen, aber beides würde ihm nicht gerecht: Kreisler ist nicht wirklich Lyriker und er ist - obgleich seit Wedekind, Ringelnatz und Walter Mehring kein Literat seines Ranges sich dem Kabarett genähert hat - nicht im eigentlichen Sinn Kabarettist.

Von Daniel Kehlmann

Man könnte Georg Kreisler einen der bedeutendsten Kabarettisten des 20. Jahrhunderts oder einen der besten deutschen Lyriker der Gegenwart nennen, aber beides würde ihm nicht gerecht: Kreisler ist nicht wirklich Lyriker und er ist - obgleich seit Wedekind, Ringelnatz und Walter Mehring kein Literat seines Ranges sich dem Kabarett genähert hat - nicht im eigentlichen Sinn Kabarettist. Richtiger wäre es, ihn als Satiriker zu bezeichnen, doch seit sogar die Redakteure Stefan Raabs sich diesen Titel zulegen, ist auch damit nicht viel gesagt: Kreisler gehört in die Nachbarschaft eines Juvenal, Swift, Voltaire oder Karl Kraus.

Ein Lyriker ist Kreisler vor allem am Klavier. Seine Gedichte bedürfen der hinterlistig konventionellen musikalischen Begleitung, bedürfen auch des Vortrags durch ihren Autor: Nur wer Kreislers Tonaufnahmen kennt, ist in der Lage, ihn als Schriftsteller zu würdigen. Wohl auch aus diesem Grund wird er den Büchner-Preis, den er verdient hätte, nie bekommen.

Georg Kreisler wurde am 18. Juli 1922 als Sohn eines Wiener Rechtsanwalts geboren. Als er sechzehn war, wanderte die Familie nach Amerika aus, 1942 wurde er zur Armee eingezogen, bis heute ist er US-Bürger. Nach dem Krieg trug er vier Jahre lang in einem New Yorker Nachtclub eigene Chansons vor, dann ging er zurück nach Wien, wo er sich dem legendären Ensemble um Helmut Qualtinger, Carl Merz und Gerhard Bronner anschloß, von dem er sich im Unfrieden trennte. Der Ruhm kam mit seinen bis heute bekanntesten makabren Balladen, in denen er in heiterem Ton von Frauen- und Tiermördern, bizarren Unfällen, Verbrechen aller Art sang. Das Publikum hätte davon – „Tauben vergiften!“ – nie genug bekommen, ihm selbst wurde es bald langweilig.

Die 1963 erschienene Platte „Lieder zum Fürchten“ bildete den Übergang zu etwas Neuem. Manche der Lieder treiben das Makabre zu einer solchen Intensität, dass eine Steigerung kaum mehr möglich scheint; andererseits schlägt „Dreh das Fernsehen ab“ einen noch nie gehörten surrealen Ton an, so dass an die Stelle der drastischen, letztlich aber harmlosen Brutalität der früheren Lieder plötzlich etwas genuin Bedrohliches trat: „Dreh das Fernsehen ab, Mutter, es zieht!/Auf den Feldern reift das gestrige Gemüse,/Die Antennen wachsen langsam durch die Wiese./Wer noch jung ist, wird schon jede Woche zäher./Und die Tränenlieferanten rücken näher."

Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre erscheinen Kreislers wichtigste Platten. In „Der Tod, das muß ein Wiener sein“ dekonstruiert er virtuos und hasserfüllt die Ideologie des selbstverliebten Wienertums, in „Allein wie eine Mutterseele“ und „Purzelbäume“ vertieft er seine dunkel melancholische Poesie, und mit den „Nichtarischen Arien“ erschafft er eine burleske Hommage an die vernichtete Welt des europäischen Judentums. Gerade weil das Schlimmste nicht ausgesprochen wird, handeln sogar die lustigsten der Arien - und manche sind sehr lustig - von Menschen, die es nicht mehr gibt, von einem Humor, dessen Quelle fast versiegt ist. Auschwitz ist in diesen Liedern Kreislers nicht weniger gegenwärtig als in den Gedichten Paul Celans, ihr Schmerz ist nicht weniger echt, und auch sie sind eine Antwort auf die Frage, wie sich danach und darüber noch schreiben lässt. „Bayern, Hessen, Schleswig-Holstein“, so Kreislers grimmige, vom deutschen Bundestag in der Hymnendebatte wohlweislich ignorierte Austextierung der bekannten Haydn-Melodie, „Bockwurst, Bier und Brüder Grimm,/Mandelbaum und Kohn und Goldstein/schlummern tief in Oswiecim."

Heute lebt Georg Kreisler in Basel, wo er Theaterstücke, Opern und Romane schreibt. Seine Lieder sprechen von der individuellen Existenz, vom Leben in seiner ursprünglichen Absurdität. Ihr Zorn und ihre Melancholie gelten weniger diesem oder jenem Zustand, als der Welt selbst, weniger einer bestimmten Person, als der tief mißratenen Schöpfung. „Ich singe Lieder in die blauwattierte Ferne“, heißt es in einem seiner persönlichsten Chansons. „Ich hänge Klagen an die pausenlose Zeit./So hebt ein jeder seine winzige Laterne,/und ich lerne: Nur das Lied bleibt und die Hoffnungslosigkeit.“ Pessimistisch? Allerdings, aber man muß doch genau hinhören: Denn es bleibt eben nicht nur die Hoffnungslosigkeit; es bleibt auch das Lied.

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