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Kultur: Ich steh an der Haltestelle, und der Ruhm fährt vor

Heute feiert Senta Berger 65. Geburtstag. In ihren Erinnerungen staunt die Schauspielerin noch immer über ihr Leben

Der Sommer des Jahres 1960 muss sehr heiß gewesen sein. Senta Berger erinnert sich an schwüle Tage im Strandbad, an die Eisdiele Della Lucia im 13. Wiener Bezirk, an Sonnenöl auf ihrer Haut und in ihren Augen. Sie war 19, sie wollte das Leben genießen. Eines Tages, sie war auf dem Fahrrad unterwegs nach Hause, wurde sie von einer amerikanischen Limousine mit Chauffeur überholt. Die Limousine stoppte und setzte zurück. Ein zierlicher Mann mit zu kleinen Hut stieg aus: Richard Widmark. Er sagte: „I have your photo on my desk, young lady“. „Dieses anbetungswürdige Idol“, schreibt Berger, „stieg aus dem Auto und kam auf mich zu. Das war etwa bei der Haltestelle Gloriettegasse, und der 60er klingelte wie verrückt, weil dieses seltsame, riesig lange Auto, das es niemals durch Wiens enge Straßen schaffen würde, direkt auf den Schienen parkte.“ Bald darauf drehte Senta Berger mit Richard Widmark ihren ersten amerikanischen Film, den Kalten-Kriegs-Thriller „The Secret Ways“.

Ein berühmter Mensch trifft andere, noch berühmtere Menschen: Das ist das Grundmuster, dem Schauspieler-Memoiren in der Regel folgen. Die meisten dieser Bücher sind flott dahingeplaudert, im Rückblick rundet sich ein Leben zu einer Aneinanderreihung schicksalsträchtiger Begegnungen und heiterer Verwicklungen. Auch Senta Berger geizt in ihrer Autobiografie nicht mit Anekdoten. „Ich habe ja gewusst, dass ich fliegen kann“, hat sie – frei nach dem Schlussmonolog von Schnitzlers „Fräulein Else“ – ihr Buch genannt, das wenige Wochen nach Erscheinen bereits sehr weit oben auf den Bestsellerlisten steht. Der Unterschied zu den üblichen Memoiren: Berger, die heute 65 Jahre alt wird, weiß, wie man Anekdoten erzählen muss.

Aus dem Treffen mit Widmark macht sie eine Groteske, in der zwei Welten aufeinandertreffen: Hollywood mit seinen zu großen Autos und das Nachkriegs-Wien mit seinen zu engen Gassen und bimmelnden Bussen. Von sich selber spricht Berger mitunter als „die kleine Senta aus Lainz“, und das ist keineswegs kokett gemeint. Sie scheint immer noch zu staunen, darüber was ihr, dem einzigen Kind armer Eltern, aufgewachsen in der Zweizimmerwohnung eines Wiener „Gemeindebaus“, alles widerfahren ist. Das Buch setzt mit Erinnerungsfetzen ans Kriegsende ein, „scharfen Bildern“ von den Stunden im Luftschutzkeller, die das 3-, 4-jährige Kind „geheimnisvoll schön“ findet, und den Toten, die im Wiener Stadtpark abgelegt werden, „auf der Wiese vor dem Kursalon“.

Szenen einer Nachkriegskindheit. Auf der Straße wird Berger mit ihrer Mutter von einer Ballettlehrerin angesprochen: „Das Kind ist begabt.“ Sie nimmt Unterricht, tritt bei „Bunten Abenden“ in Gasthäusern auf, beteiligt sich am Wettbewerb eines Boulevardblattes, das „die Sophia Loren von Wien“ sucht. Und dann kommt Senta Berger zum Film, besser gesagt: Der Film kommt zu ihr. „Er kam mit Lastwagen und Lärm, mit riesigen Scheinwerfern und lauter Durchsagen. Es war wunderbar.“ In ihrer Schule wird Kästners „Doppeltes Lottchen“ verfilmt, die Gymnasiastin ergattert einen Auftritt als Komparsin. Von da ist es nicht mehr weit zu Hauptrollen in österreichischen, deutschen, schließlich amerikanischen Filmen: „Es muss nicht immer Kaviar sein“, das Johann-Strauß-Biopic „The Waltz King“, „Major Dundee“ und „Steiner“ von Sam Peckinpah.

Der erste Teil des Buches spielt hauptsächlich in Wien, der zweite in Hollywood. Columbia hat die Schauspielerin 1963 mit einem Fünfjahresvertrag nach Amerika geholt, der Rückblick fällt ernüchternd aus. „Es war lächerlich, wie die Männer in den Drehpausen und auch nach Drehschluss Cowboy spielten“, schreibt sie über „Major Dundee“. „Wie Kinder. Jeder trug seine lächerliche Pistole im Gürtel, die Cowboystiefel wurden auch abends nicht abgelegt, der wiegende Gang, der uns aus amerikanischen Western vertraut ist, geradezu rührend imitiert. Es wurde unheimlich viel gesoffen.“ 1969 kehrt Senta Berger nach Europa zurück und dreht mit ihrem Mann Michael Verhoeven den Anti-Vietnamkriegsfilm „OK“, der bei der Berlinale zum Eklat führt. Das lakonisch berichtende, im zweiten Teil etwas ausfransende Buch endet mit dem Tod des Vaters 1984. Von „Kir Royal“, der „schnellen Gerdi“ und ihren anderen Fernseherfolgen wird Senta Berger vielleicht später einmal erzählen.

Senta Berger: Ich habe ja gewusst, dass ich fliegen kann. Erinnerungen, Kiepenheuer & Witsch, 336 S., 19,90 €.

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