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Kultur: Ich übernehme den Staffelstab

Jury-Präsidentin Charlotte Rampling über Selbstbewusstsein, Glamour und Einsamkeit – und ihre familiäre Nähe zu Berlin

Frau Rampling, nach einigen Krisen und Auszeiten sind Sie nicht nur wieder sehr präsent auf der Leinwand, sondern spielen Theater und haben Chansons aufgenommen. Als suchten Sie eine neue Rolle für Ihr öffentliches Leben.

Ich glaube, im Leben jeden Künstlers gibt es Momente, wo man zur eigenen kreativen Welt auf Distanz gehen muss. Damit habe ich ganz früh angefangen – es ist fast animalisch, wie bei einer Schlange, die sich häutet, dieses Nachdenken über das Leben und was es einem bringen kann. Seit einigen Jahren habe ich ein gewisses Gepäck abgeworfen, das ich seit meiner Jugend mit mir herumtrug. Und plötzlich waren da viele wichtige Begegnungen, mit Regisseuren, Musik, mit dem Theater. Und mit mir selbst.

Das Theater haben Sie lange abgelehnt, auch aus Angst vor dem realen Publikum. Letztes Jahr haben Sie den Sprung gewagt.

Ich wusste, das Theater kommt eines Tages. Ich hatte früh eine Ausbildung am Royal Court Theatre gemacht, aber das Kino hat mich ganz schnell gepackt. Das Augenblicksbetonte, die instinktivere Arbeitsweise passte lange mehr zu mir. Beim Theater fürchtete ich die ungeheure Verletzlichkeit, der man sich aussetzt, wenn man auf der Bühne etwas von Anfang bis Ende spielt, ich fürchtete auch die Blicke der Zuschauer. Das war in meinen tiefsten Schichten kompliziert für mich. Als dann Bernard Murat dieses Stück von Eric-Emmanuel Schmitt für mich und Bernard Giraudeau inszenierte, wusste ich, mit den beiden kann ich auch meine Konfrontationsängste überwinden.

Ihre CD „Comme une femme“ versammelt sehr intime Chansons. Eine konzentrierte Arbeit, ein Jahr lang allein mit einem Pianisten. Würden Sie auch öffentlich singen?

Vielleicht nicht auf einer großen Bühne, eher in Clubs. Es gibt noch weitere Lieder, die werden wir aufnehmen, und mit denen will ich reisen. Das Publikum soll nah um mich sein, in einer warmen Atmosphäre.

Auch die Berlinale, wo Sie nun die Rolle der Jury-Präsidentin übernehmen, ist Theater, Spektakel, Show – das genaue Gegenteil von Intimität.

Auch diese Welt ist schön. Die Menschen wollen die Stars auf dem roten Teppich sehen. Die Menschen wollen träumen. Wir gehören zu diesen Träumen. Niemals würde ich daran rühren. Es freut mich, Freude zu geben.

Trotzdem: Haben Sie nicht erst ein bisschen gezögert, das Angebot anzunehmen?

Der Vorschlag kam über einen nahen Freund, Claude Martin. Er ist seit sechs Jahren französischer Botschafter in Deutschland. Dieter (Kosslick) hatte Claude gebeten, mich zu fragen. Es war wie eine Tür, die sich plötzlich weit öffnet, und ich sagte Ja. Fast ohne nachzudenken. So ist es immer in Schlüsselmomente meines Lebens. Ja, ich werde in Berlin in einer sehr öffentlichen Rolle sein, und ich freue mich, das Kino der anderen zu sehen, das ernährt mich. Und ich werde gar nicht so viel reden müssen. Darf ich ja auch gar nicht: Ich bin Geheimnisträgerin, das liebe ich.

Kennen Sie Ihre Mitjuroren schon?

Bisher nur durch ihre Arbeit. Natürlich wird jeder seine Erfahrung mitbringen Aber wir werden uns auf einer menschlichen Ebene begegnen, einmal nicht definiert durch das, was wir beruflich tun.

Haben Sie eine Beziehung zu Berlin?

Ich habe hier kürzlich „Le chiavi di casa“ gedreht, mit Gianni Amelio. Und es gibt eine tiefe Familienverbindung. Mein Vater, er ist heute 98, hat 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin eine Goldmedaille für Großbritannien gewonnen. In Leni Riefenstahls „Olympia“-Film ist die Szene festgehalten. Der erste Läufer in der 4 x 400-Meter-Staffel hatte eine furchtbare Magenverstimmung an dem Tag, mein Vater hat als zweiter aus der letzten Position wahnsinnig aufgeholt. Das war der Lauf seines Lebens, er ist später nie wieder gelaufen. Jetzt übernehme ich den Staffelstab, in gewisser Weise.

Sie sind Jury-Präsidentin: Haben Sie schon einmal eine Jury geleitet?

Noch keine wichtige, so wie in Berlin, Venedig oder Cannes, wo die ganze Welt des Films zusammenkommt. Bei den anderen beiden großen Festivals war ich Jury-Mitglied.

Preise zu vergeben ist das Eine. Schöner für Schauspieler ist es sicher, selber welche zu bekommen.

Ich wurde nie für einen Film ausgezeichnet, sondern nur für mein Werk.

Bis auf den Europäischen Filmpreis für „Swimming Pool“ – kein Festivalpreis.

Auf einem Festival ist es das Spiel des Wettbewerbs. Also spiele ich es mit. Wenn ich den Preis nicht kriege? Dann eben nicht. Das ist das Gesetz des Dschungels. Die Jury entscheidet.

Und ein kleiner Oscar?

Ich würde nicht nein sagen.

Apropos: Demnächst geben Sie eine Psychologin in „Basic Instinct 2“, aber lange Zeit wollten Sie mit Hollywood nichts mehr zu tun haben.

Das gehörte nicht zu meiner Welt. Das war ein bisschen zu aggressiv, zu karrieristisch auch, und nicht intellektuell genug. Ich brauche das Sinnliche und den Intellekt, in Hollywood findet man das kaum. Ich bin Europäerin. Aber natürlich sehe ich mir amerikanische Filme an, sofern sie nicht mittelmäßig sind.

Gehen Sie auch ins Kino, als ganz normale Zuschauerin?

Unbedingt. Gerne allein, sobald ich Zeit dafür habe, und nachmittags. Ich habe in Paris ein Appartement im 6. Arrondissement, es gibt da viele kleine Kinos, die ein ausgezeichnetes Programm machen, auch mit Retrospektiven. Manchmal fühle ich mich richtig ignorant – es gibt so viele Filme, die ich noch nicht kenne.

Wonach wählen Sie einen Film: nach der Story, dem Regisseur, den Schauspielern?

Nach dem Regisseur. Er bringt die Kraft in den Film. Und wenn er getrieben ist von seinem Talent, arbeitet er oft mit sehr guten Schauspielern. Das ist wie eine Alchemie. Man darf der Vision des Regisseurs niemals Fesseln anlegen. Man muss mit dieser Vision verschmelzen, ohne die eigene Identität zu verlieren. Auch wenn das manchmal schwierig ist, weil die Regisseure genau das wollen: unsere Identität, unsere Inkarnierung.

Von welchen Regisseuren haben Sie selbst in Ihrer Arbeit am meisten gelernt?

Visconti ist mein Meister. Ich war 22, als ich ihn kennenlernte, er hat mir den Sinn für Qualität beigebracht, für Integrität und Disziplin. Und: dass es nicht darum geht, kommerziell zu sein. Bei „Nachtportier“ habe ich mehr von Dirk Bogarde gelernt als von Liliana Cavani, der Regisseurin. Woody Allen hat mir gezeigt, wie man absolute Leichtigkeit mit absoluter Tiefe vereint: In „Stardust Memories“ konnte ich den traurigen Clown in mir erforschen. Mit Nagisa Oshima hatte ich keine gemeinsame Sprache, also musste ich hinter der Maske den Mann finden. Schließlich François Ozon: Er hat meine Reife freigelegt. Und eine sehr alte Tür in mir geöffnet: die der Trauer.

Sie hatten diese Tür fest geschlossen, nach dem Tod Ihrer drei Jahre älteren Schwester, als Sie beide noch ganz jung waren . . .

. . . ja, und meine Mutter hat sich davon nie wieder erholt. Wir Schwestern waren fast wie Zwillinge, als Offizierskinder sind wir durch 15 Schulen gegangen, alle zwei Jahre eine andere. Diese Familien, die ohnehin am Rand der Gesellschaft leben, werden sehr symbiotisch. Man findet keine wirklichen Freunde.

In Ihren letzten großen Filmrollen sind Sie immer eine sehr einsame, aber auch sehr starke Frau.

Die Einsamkeit war mein einziger Weg. Ich musste sie zähmen, um mit ihr leben zu können. Dann beschloss ich in die Welt des Films zurückzukehren, und plötzlich dachte ich, man kann diese immense Einsamkeit doch auch mit anderen leben. Indem man sie teilt.

Sehen Sie sich Ihre eigenen Filme an?

Sehr selten. Ich brauche das nicht. Wenn ich Filme mache, gebe ich sie. Schauspielen ist ein großzügiger Akt.

Und als Zuschauerin im Kino, passiert es Ihnen, dass Sie weinen?

Oft. Nicht bei den Filmen, die Knöpfe drücken, um dich zum Weinen zu bringen, da ist das amerikanische Kino sehr geschickt. Aber wenn ein Film so zu einem spricht wie ein Buch . . .

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala.

Spielen & Leben - Über Charlotte Rampling

Erst Skandalstar in reichlich freizügigen Rollen, dann nach Krisen und Schicksalsschlägen zeitweise fast aus dem Filmbetrieb ausgeschieden – und seit François Ozons „Unter dem Sand“ (2000) durchgestartet zu einer furiosen zweiten Karriere: Das Leben der Britin Charlotte Rampling , die am 5. Februar ihren 60. Geburtstag feierte, hat viele Wendungen genommen. Geboren in London als Tochter eines Nato-Offiziers, wollte sie ursprünglich Sängerin werden, was der Vater verhinderte. In den Swinging Sixties nahm das wilde Party-Girl dann stattdessen Schauspielunterricht und ging früh zum Film. Nach ersten kleinen Rollen und einer durch den Tod der älteren Schwester ausgelösten Lebenskrise holte Luchino Visconti sie 1969 für „Die Verdammten“ wieder vor die Kamera. In den Siebzigern und Achtzigern war Rampling – etwa in „Der Nachtportier“, „Stardust Memories“, „Vive la vie“ und „Angel Heart“ – eine gefragte Schauspielerin. In den Neunzigern, als ihre langjährige Ehe mit dem Komponisten Jean-Michel Jarre in die Brüche ging, geriet sie auch beruflich in eine Krise und war jahrelang nur noch in Fernsehrollen zu sehen. Seit fünf Jahren ist Charlotte Rampling wieder eindrucksvoll präsent – vor allem in Werken von François Ozon („Unter dem Sand“ und „Swimming Pool“ ). Im Sommer kommen gleich zwei sehenswerte neue Filme mit ihr ins Kino: Laurent Cantets „Vers le sud“ und Dominik Molls „Lemming“.

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