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Kultur: Ich und mein Hintergrund

Weite Wege: Der Stückemarkt des Berliner Theatertreffens beschäftigt sich vor allem – mit dem Theater

Der Hund von Nino Haratischwili besitzt einen EU-Pass, sie selber nicht. Das Tier stammt aus einem deutschen Heim, die junge Dramatikerin aus Georgien, was den gemeinsamen Grenzübertritt entscheidend erschwert. Eine verstörende Anekdote, und wahr obendrein. Haratischwili fügt sie in ihren Vortrag „Von der Ambivalenz des Brückenbaus“ ein, mit dem sie den diesjährigen Stückemarkt des Theatertreffens eröffnet. Ost und West, so lernen wir da, stehen sich verständnislos gegenüber. Haratischwili, die überwiegend in Deutschland lebt, nutzt die Gunst der Stunde zum Lamento. Sie beklagt die Nachwuchs- und Novitätengier der Bühnen, Festivals und Förderinstitutionen, die junge Dramatiker dazu zwinge, ganz viel und ganz schnell zu schreiben. Sie beschwert sich darüber, dass die Ostautoren im Westen nur dann auf Interesse stießen, wenn sie mit krassen, superauthentischen Geschichten von Krieg und Verfall kämen. Überhaupt will sie nicht dauernd auf ihre Herkunft reduziert werden, was während des anschließenden Expertentischs in dem schönen Ausruf gipfelt: „Ich bestehe doch nicht nur aus meinem Hintergrund!“

Ein passend gewählter Auftakt, denn er gibt das Thema vor, das auch die Mehrzahl der fünf zum Stückemarkt eingeladenen Autoren beschäftigt: die eigene Befindlichkeit im Betrieb. Der Text „Drahtseilakrobaten“ des Rumänen Peca Stefan beginnt dabei als ziemlich treffsichere Selbstbespiegelungssatire: Ein junger Rumäne wird zu einem New Yorker OffTheaterfestival eingeladen, das „Wütende Stimmen aus dem Wilden Osten“ heißt und dem er knallhartes Material über Hunger und Zwangsprostitution zuliefern soll, obschon er eigentlich eine Liebesgeschichte um eine Jukebox im Sinn hatte. Recht lustig, aber nach zehn Minuten fällt das Stück auseinander wie der Warschauer Pakt und variiert bloß eine Reihe rumänischer Pulp-Fiction-Szenen.

Was der Theatermarkt vom Autor verlangt, hat sich auch Wolfram Lotz gefragt, der 1981 geboren ist und am Leipziger Literaturinstitut studiert. Sein Stück „Der große Marsch“ hebt mit der schwer zu widerlegenden Feststellung an: „Die meisten Theaterleute sind (natürlich gibt es Ausnahmen) Arschgesichter“, um hernach die kapitalismuskritische Mode eines selbstgefälligen Apparats zu verspotten. Es treten Regisseure auf, die echte Sozialhilfeempfänger ans üppig mit Nudelsalat gefüllte Subventions-Buffet scheuchen, außerdem der Autor selbst und seine Mutter, Josef Ackermann und Hamlet, und viele dieses Kalibers mehr. Eine smart geschriebene Parodie, auch wirklich komisch, vor allem die Schauspielerin Jule Böwe musste sich während der Szenischen Lesung, die Lars-Ole Walburg eingerichtet hatte, immer wieder kichernd das Textbuch vors Gesicht halten. Lotz gewann damit den Werkauftrag des Stückemarkts, außerdem den erstmals verliehenen Publikumspreis. Eine Frage bleibt aber trotzdem: Haben Theaterautoren kein anderes Thema mehr als das Theater?

Claudia Grehn immerhin versucht, den Blick zu weiten und erzählt in „Ernte“ – ausgezeichnet mit dem Förderpreis für neue Dramatik – eine zwischen Polen und Deutschland pendelnde Familiengeschichte aus dem Erntehelfermilieu. Ein durchaus berührender Text, auch wenn man nach einer Minute an der typisch verknappten Sprache hört, dass Grehn dem Studiengang Szenisches Schreiben an der Universität der Künste entstammt. Immerhin hat die Autorin ein Anliegen. Im Gegensatz zu Ekat Cordes, der in „Ewig Gärt“ einen Jelinekschen Sprachspielporno zum Thema Missbrauch versucht, den Regisseur Jan Philip Gloger konsequenterweise zu Teilen in der Herrentoilette im Foyer der Berliner Festspiele aufführen lässt. Und Julian van Daal versammelt in seinem programmatisch betitelten Stück „Alles ausschalten“ eine Gruppe von verödeten Jugendlichen, die dann rufen: „Mir ist langweilig, Papa! Das hängt mit dem fehlenden Widerstand zusammen …“ Wie oft wird beweint, dass junge Stücke gleich nach der Uraufführung wieder in der Versenkung verschwinden. Aber das muss ja nicht immer schlecht sein. Echte Talente sind jedenfalls seltener, als der Stückemarkt stattfindet.

„Man erwartet von einem jungen Autor, dass er politisch ist, weil er sich dann am besten verkauft“, stellt Wolfram Lotz während einer Podiumsdiskussion des Stückemarkts fest, und findet, derlei Zurichtungen seien Modelle, „auf die müssen wir draufhauen!“ Claudia Grehn fragt etwas konsterniert und berechtigterweise zurück: „Wie willst du denn da draufhauen?“ Das weiß natürlich auch Lotz nicht so genau, aber er wird dann grundsätzlich: „Das Theater ist eine kalte Maschine. Es gibt tolle Buffets, aber davon sollte man sich nicht blenden lassen.“

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