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Denkmalstreit: Ich war eine Büchse

DDR-Blech oder ältere Fassade? Ein bizarrer Leipziger Denkmalstreit.

Ein ungewöhnlicher Fall: Als jüngst die Sechziger-Jahre-Fassade des Kaufhauses Brühl demontiert wurde, rieben sich die Leipziger verwundert die Augen, kam dahinter doch die attraktive steinerne Haut des alten Kaufhauses am Brühl zum Vorschein, das im Zweiten Weltkrieg beschädigt worden war. 1908 nach einem Entwurf des Architekten Emil Franz Hänsel (1870 -1943) entstanden und später mehrfach erweitert, gilt es als Zeugnis großstädtischer Warenhausarchitektur. Zu Hänsels Hauptwerken gehören weitere prominente Leipziger Bauten wie der Specks- Hof und der Zentralmessepalast. Sein malerisches Kaufhaus am Brühl kennzeichnet eine senkrechte Fassadengliederung, die in ihrem Duktus an die gleichzeitig entstandenen Berliner Warenhäuser von Alfred Messel erinnert.

Dank ihrer elegant geschwungenen Aluminiumfassade aus den Sechzigern besitzt die „Blechbüchse“ bei den Freunden der Nachkriegsmoderne Kultstatus. Immerhin entging ihre Fassade dem Abriss, während die angrenzenden schlanken Wohnscheiben am Brühl Ende April entsorgt wurden – einst bildeten sie das DDR-zeitliche Entree der Messestadt schräg gegenüber dem Hauptbahnhof. An ihrer Stelle entstehen nun die „Höfe am Brühl“ von dem Essener Einkaufscenterbetreiber „Management für Immobilien“, nach einem Entwurf der Berliner Architekten Armand Grüntuch und Almut Ernst. In ihren Neubau werden auch die Fassadenelemente der „Blechbüchse“ einbezogen.

Zwar wusste man, dass sich unter der Nachkriegsfassade der alte Baukörper befindet, schließlich leitet sich die Kubatur des Kaufhauses aus dessen historischem Fassadenschwung ab. Über den Zustand der alten Fassade herrschte aber Unklarheit; das Leipziger Regierungspräsidium hatte sie nicht als erhaltenswert eingeschätzt. Doch trotz der Kriegsbeschädigungen und des Verlusts der hohen Giebel, die man nach 1945 abtrug, besitzt die alte Warenhausfassade selbst mit ihren zugemauerten Fensteröffnungen noch immer eine beeindruckende Wirkung. In einem offenen Brief forderten daher rund 500 Unterzeichner nun den Investor auf, beide Zeitschichten des Denkmals zu erhalten.

Immerhin ist vorgesehen, ein 15 Meter schmales Teilstück der Steinfassade zu erhalten und in eines der neuen Treppenhäuser zu integrieren. In dem Brief heißt es, dass man die Qualität der in ihrer Grundstruktur erhaltenen Fassade nicht gegen den Erinnerungswert der Alufassade ausspielen wolle. „Vielmehr setzen wir auf eine kreative Lösung, die wesentliche Teile beider Schichten des Bauwerks einbezieht und zur Anschauung bringt.“

Eine anspruchsvolle Herausforderung. Leider ist der Leipziger Denkmalstreit zu Ende, bevor er ausgetragen werden konnte. Längst haben die Bagger die rückwärtigen Teile des Kaufhauses abgerissen. Immerhin bietet der Essener Investor eine Kompromisslösung an: Er schlägt vor, erhaltenswerte Teile der historischen Steinfassade zu sichern und für eine mögliche Wiederverwendung an einem anderen Gebäude einzulagern. Darüber wird derzeit mit der Stadt verhandelt.

Jürgen Tietz

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