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Kultur: Ich war und bin gegen Religion

Salman Rushdie (54), geboren in Bombay, lebte in Großbritannien, als wegen der "Satanischen Verse" 1989 eine Fatwa über ihn verhängt wurde. Heute lebt er in New York.

Salman Rushdie (54), geboren in Bombay, lebte in Großbritannien, als wegen der "Satanischen Verse" 1989 eine Fatwa über ihn verhängt wurde. Heute lebt er in New York. In seinem neuen Roman "Wut" beschreibt er ein stolzes, latent bedrohtes Amerika - vor dem 11. September (Kindler, 370 S., 19,90 Euro).

Mister Rushdie, bei Ihrem letzten Gespräch mit dem Tagesspiegel erwähnten Sie den Unterschied zwischen dem privaten Salman und dem öffentlichen Rushdie. Wie geht es Salman heute?

Es geht ihm besser. Seit ich mich nicht mehr wegen der Fatwa verstecken muss, haben sich die beiden Personen einander angenähert. Wie alle, die in der Öffentlichkeit stehen, schütze ich mein Privatleben, so wie Günter Grass sagt, er lasse Günter zuhause, wenn er Grass zur Arbeit schicke.

Malik Solanka, der Held Ihres neuen Romans "Wut", lädt zu Verwechslungen geradezu ein. Er ist so alt wie Sie, kommt aus Bombay, hat in Cambridge studiert und flieht aus London nach New York. Ist das nicht leichtsinnig?

Es ist ein Ausgangspunkt. Viele Schriftsteller erfinden Protagonisten, die ihre eigene Perspektive einnehmen. Denken Sie nur an Stephen Dedalus und James Joyce oder an Marcel und Marcel Proust. Ja, Solanka hat einiges mit mir gemeinsam. Aber er ist viel grummeliger als ich. Ich hatte immer ein Vexierbild von Amerika, eine Innen- und eine Außensicht. Auch Solanka verhält sich widersprüchlich, wenn Amerika seine Rettung ist und er gleichzeitig unentwegt auf die USA schimpft. Auch die Figur der Neela, die meiner Lebensgefährtin Padma ähnelt, entwickelt sich zu einer ganz anderen Person, die sich für ihre Heimat, die Fidji-Inseln, politisch engagiert. Ich habe immer gerne mit dem Autobiographischen gespielt. Interessant ist dabei nicht der Ausgangspunkt, sondern das Ergebnis.

"Wut" hat wegen der Vorahnung des 11. September prophetische Qualitäten. Hat der Anschlag die Rezeption des Romans verändert?

Über Nacht. Es klingt pervers, aber die Terroranschläge haben es den Lesern leichter gemacht, die persönlichen Aspekte - etwa die Beziehung zwischen Padma und mir - im größeren Kontext eines Sittengemäldes wahrzunehmen.

Es gibt in "Wut" außerdem sehr viel Zeitgeist, von Bush und Gore bis zu Lara Croft. Hat das damit zu tun, dass Sie nach fast zehn Jahren endlich wieder am öffentlichen Leben teilnehmen können?

Ein bisschen schon. Aber die Rückkehr zur Normalität hat mein Schreiben eigentlich nicht verändert. Die Fatwa hatte lediglich Folgen für den Schreibvorgang selbst. Früher war es mir wichtig, wo und

womit ich schreibe. Jetzt nehme ich mein Notebook - es hat lange gedauert, bis ich zum Computer bekehrt war -, schließe es an, wo immer ich bin, und fange an zu schreiben.

Wie lange werden die Leser all die Anspielungen auf New York im Jahr 2000 verstehen?

Noch 2000 Jahre lang. Man hat das schon dem "Großen Gatbsy" vorgeworfen: dass er zu viele Details enthält. Aber wie soll ich eine Epoche verstehen, wennihre Details ausgespart werden? Wer einen Roman liest, will doch genau das: Dass eine vergangene Zeit lebendig wird. Das Besondere an "Wut" ist höchstens, wie sich da ein satirischer Gegenwartsroman mit einem Schlag in einen Historienroman verwandelt hat.

Sie erzählen von der Wut auf die Arroganz Amerikas, und dann gibt es tatsächlich Terroristen, die solch eine Wut vielleicht motiviert hat? Das Cover zeigt eine dunkle Wolke über dem Empire State Building.

Ich registriere nur Stimmungen. Von Schriftstellern heißt es, sie hätten eine Hautschicht weniger als andere Menschen. Aber nein, ich bewerbe mich nicht auf den Posten des Propheten. Ich hatte genug Probleme damit. Mehr als bei "Wut" erschreckte es mich, dass ich mit den "Satanischen Versen" richtig lag. Für viele las sich der Roman so, als sei er nach der Verhängung der Fatwa geschrieben. Was das Buch auslöste, beweist jedenfalls, dass es nicht übertrieben ist.

In den "Satanischen Versen" oder in "Des Mohren letzter Seufzer" entzündet sich die literarische Fantasie an historischen Fakten. Macht es einen Unterschied, ob der Ausgangspunkt Geschichte oder Gegenwart ist?

Man hat mir oft vorgeworfen, ich würde Fantasy schreiben. Aber ich wollte immer Bilder der wirklichen Welt entwerfen. Ich benutze vielleicht surrealistische Techniken, aber in realistischer Absicht. Wobei man bei historischen Stoffen hinten im Kino sitzt, die Details nur schwer erkennt, aber einen guten Überblick hat. Bei "Wut" saß ich in der ersten Reihe, mit der Nase direkt an der Leinwand. Es heißt darin einmal, es gehe darum, dem Stier möglichst nahe zu kommen. Wenn der Stier die Wirklichkeit ist, dann schlage ich Haken, um ihn bei den Hörnern zu packen. Das kann gefährlich sein. In gewisser Weise ist "Wut" mein persönlichster Roman, ein nacktes Buch. Es wäre leicht für mich gewesen, alles zu verkleiden, aber das wollte ich nicht. Einige Menschen waren überrascht, sich in "Wut" wiederzufinden.

Ist Ihnen das selbst schon einmal passiert?

Ich sollte mich hüten, Sie darauf hinzuweisen. Es ist verrückt zu merken, dass man Modell gestanden hat. Aber gut: Günter Grass behauptet zum Beispiel, die Figur des Inders mit dem Rikscha-Unternehmen in "Unkenrufe" basiere auf mir. Ich kann nicht die geringste Ähnlichkeit feststellen (lacht) .

Sie sagen, New York war eine Befreiung. Aber die Vergangenheit lässt Sie nicht los. Letzte Woche wurden Sie in einer italienischen Fernseh-Diskussion wegen der "Satanischen Verse" angegriffen.

Hinter mir hing ein Foto von brennenden Büchern mit dem Slogan "Zum Tode verurteilt", vor mir saß dieser wild gewordene Mullah aus Turin, der das Buch nicht einmal gelesen hatte. Ich dachte, jetzt geht das schon wieder los. Die "Satanischen Verse" sind 13 Jahre alt, die Welt hat heute größere Probleme.

Nach dem 11. September veröffentlichten Sie einen Essay über die Notwendigkeit der Entpolitisierung des Islam. Wird das je gelingen?

Ich bin pessimistisch, aber alles andere wird noch weniger funktionieren. Die Länder, in denen eine solche Entpolitisierung möglich sein könnte, sind ja gerade jene, die sich in letzter Zeit islamisiert haben. Im Iran besteht durchaus die Hoffnung auf eine weltliche Konterrevolution. Denn die Bevölkerung hat die "Mullahisierung" der Politik gründlich satt. Den Leuten auf der Straße ist selbst Chatami nicht liberal genug, ein wirklicher Neuanfang wird mit ihm nicht möglich sein. Auf die Dauer kann ein Land des 21. Jahrhhunderts nicht mit Methoden des 7. Jahrhunderts regiert werden.

Das klingt aber sehr optimistisch: die Hoffnung, dass ein Volk das Regime stürzt.

Nein, es ist komplizierter. Etliche moderate Regierungen - etwa in Marokko oder Ägypten - sind ja keineswegs demokratisch gewählt. Womit wir bei einem moralischen Dilemma wären: Soll ich mir für Saudi-Arabien freie Wahlen wünschen, auch wenn das bedeuten könnte, dass ein Osama Bin Laden viele Stimmen bekommt?

Was die Trennung von Kirche und Staat betrifft: Macht die islamische Welt derzeit einen Transformationsprozess durch, den die christliche Welt schon hinter sich hat?

Er wird gewiss anders verlaufen. Aber machen wir uns doch nichts vor. Viele islamische Länder sind in einem schrecklichen Zustand, politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell. Der böse Wolf Amerika kann daran nicht alleine schuld sein, die Länder sind auch selbst verantwortlich. Vergleichen Sie Beirut oder Damaskus vor 50 Jahren mit den Städten von heute, und Sie stellen einen dramatischen Niedergang fest. Deshalb müssen der Iran oder Libanon endlich offen über die eigenen Versäumnisse diskutieren.

Was genauso schwer sein dürfte wie die Respiritualisierung des Kapitalismus.

Von wegen! Amerika ist ein ungeheuer religiöses Land, in dem das Christentum sehr viel mehr praktiziert wird als in Westeuropa. Das war eine der größten Überraschungen für mich. Kürzlich hatte ich in Washington die Gelegenheit, mit Senatoren beider Parteien zu sprechen, und ein Republikaner in der Runde erboste sich darüber, dass Bin Laden die USA als gottloses Land bezeichnet hatte. Er fühlte sich ernsthaft angegriffen.

Hat die amerikanische Erfahrung Ihre kritische Einstellung zum Religiösen verändert?

Überhaupt nicht. Ich war und bin gegen Religion. Ich kann nicht feststellen, dass sie der Menschheit in letzter Zeit gut getan hat.

Sie sollte Privatsache bleiben?

Von mir aus braucht es sie gar nicht zu geben. Und wenn doch, dann möglichst hinter verschlossenen Türen.

Sie äußern sich neuerdings auch zum Nahostkonflikt. Was macht Sie zum Experten?

Ich bin keineswegs ein Experte für den israelisch-palästinensischen Konflikt. Ich habe nur Informationen von Freunden und Kollegen. Einmal im Monat schreibe ich eine Kolumne für die "New York Times", und das Schlimme daran ist, dass ich zwölfmal im Jahr eine Meinung haben muss. Ich bin sehr beeindruckt von Kolumnisten, die einmal wöchentlich eine Meinung haben (lacht). Ich war immer überzeugt - darin bin ich mir mit Edward Said und vielen palästinensischen Schriftstellern einig -, dass es ein palästinensisches Territorium geben muss. Wenn es möglich wäre, den gegenseitigen Hass zu überwinden, könnte man das Problem pragmatisch lösen: Beide, Palästinenser und Israelis, brauchen garantierte Territorien, und Jerusalem muss geteilt werden. Das ist keine originelle Idee, auch keine, die der einen oder anderen Seite Recht gibt. Aber von dieser naheliegenden Lösung sind wir weiter entfernt denn je.

Sie sprechen auch von der Islamisierung der palästinensischen Befreiungsbewegung.

Es ist doch deprimierend: Die Selbstmordattentäter werden inzwischen nicht mehr von derHamas indoktriniert, ausgebildet und unterstützt. Jetzt melden sich Freiwillige aus allen Bevölkerungsschichten, auch solche mit keinerlei islamistischem Hintergrund. Es scheint eine Massenbewegung zu werden, die Züge einer Revolution annimmt. Revolution bedeutet ja, dass man bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzten, weil man die Angst vor der Macht verliert, vor der militärischen Überlegenheit des Stärkeren. Aber die Selbstmordattentäter begehen einen schrecklichen historischen Fehler: Sie irren sich bei der Identifizierung des Gegners. Den Schah beseitigen zu wollen, ist eine Sache. Die gesamte israelische Bevölkerung für den Feind zu halten, ist jedoch ein dramatischer Irrtum. Erstens kann sie nicht besiegt werden, zweitens tötet man potentiell Verbündete. Denn beide Seiten können nur überleben, wenn sie koexistieren.

Mit der Fatwa waren Sie selbst jahrelang vom terroristischen Fundamentalismus bedroht. Weitet sich der Terror nun zu einer globalen Bedrohung aus?

Ein international organisierter und vernetzter Terrorismus in diesem Ausmaß ist in der Tat neu. Bisher gab es Staaten wie Iran, Irak oder Libyen, die Terroristen unterstützt haben. Aber dass eine terroristische Gruppe wie die Al Quaida die Führung eines Landes übernimmt - genau das ist ja in Afghanistan geschehen - war bislang nicht möglich. Es ist eine schreckliche Welt, lasst uns Komödien schreiben!

Sie gelten als politischer Autor. Wieviel Politik brauchen Sie für Ihre literarische Arbeit, und wann drängt es Sie, sich unmittelbar politisch zu äußern und etwa den Literaturnobelpreisträger V. S. Naipaul wegen seiner Parteinahme für den Hindu-Nationalismus zu attackieren?

Politisch äußere ich mich jeden letzten Montag im Monat. Dann muss ich meine Kolumne abliefern. Ich wäre gerne ein unpolitischer Autor. Aber ich glaube, dass der Abstand zwischen der öffentlichen und der privaten Sphäre sich verringert hat. Früher konnte man großartige Literatur verfassen, ohne sich um die politische Dimension des Privaten zu scheren. Jane Austen konnte es, sogar noch Virginia Woolf. Heute ist das fast unmöglich. Die Idee der Literatur war von Anfang an die des Heraklit, derzufolge der Mensch für sein Schicksal verantwortlich ist.

Spätestens seit dem 11. September wissen wir, dass das nicht stimmt.

Wir wissen es schon länger. Der moralische oder unmoralische Lebenswandel der Dresdner hat die Bomben auf Dresden nicht interessiert. Oder nehmen wir ökonomische Zusammenhänge: George Soros spekuliert mit Ihrer Währung, es gibt eine Inflation, und Sie werden arbeitslos, egal ob Sie Ihren Job gut oder schlecht gemacht haben.

Sie planen eine Tetralogie, darunter einen Roman über die Ermordung Robert Kennedys und einen über das mittelalterliche Florenz. Verändert Ihr Wissen über diese globalen Zusammenhänge Ihr Schreiben?

Es hat ungeheure Folgen für das Erzählen, denn ich muss den Einfluss des Weltgeschehens auf den Einzelnen berücksichtigen und meine Geschichten an der Kreuzung von Privatem und Öffentlichem ansiedeln. Deshalb ist "Wut", obwohl der Roman nicht Teil der Tetralogie werden sollte, vielleicht doch ihr Anfang. Im übrigen ist es eines meiner großen Themen, das mich schon in "Mitternachtskinder" interessiert hat - ich lese den Roman gerade wieder, weil ich für die Royal Shakespeare Company eine Bühnenfassung schreibe. Aber glauben Sie mir, ich habe die Politik wirklich satt. Schließlich habe ich mit der Fatwa eine Überdosis davon abbekommen. Danach dachte ich: Schluss damit. Aber es hilft nichts. Die galileische Frage, ob man sich zur Wahrheit um den Preis seines Lebens bekennt, ist eine der großen Fragen unserer Zeit. Und ich bin so gestrickt, dass ich wohl auch in Zukunft nicht über Gartenarbeit schreiben werde.

Mister Rushdie[bei Ihrem letzten Gespräch mi]

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