zum Hauptinhalt
Rattenscharf. Szene aus dem 3. „Lohengrin“-Akt mit Klaus Florian Vogt als Lohengrin und Annette Dasch als Elsa. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath/dpa

© dpa

Kultur: Ich will da rein!

Bewegend: Die Wiederaufnahme von Hans Neuenfels’ „Lohengrin“ bei den Bayreuther Festspielen

Das Rattenleben ist beklagenswert. Trotzdem möchte man immer wieder lachen, weil das Wesen der Nager auf der Bühne so possierlich, so tierisch souverän inszeniert ist. Mit dieser Wiederaufnahme- Premiere der Bayreuther Festspiele 2011 geht der „Lohengrin“ in sein zweites Jahr – und einem triumphalen Sieg entgegen, dem sich die geschwächten Zuschauer- Proteste unterordnen. So ist es mit allen großen Aufführungen auf dem grünen Hügel von Chéreau bis Schlingensief gekommen, dass zunächst heftig Attackiertes mehr und mehr geliebt wurde.

Texttreue heißt für Regisseur Hans Neuenfels: der Melodie der Werke zu huldigen, indem er sie kontrapunktiert. Das ist ein surrealistisches Theatermittel seit je. Krüppel auf der Kehrseite des Kriegsjubels (bei Verdi), Kriegerwitwen neben Soldaten, die zum Schein in den Krieg ziehen (bei Mozart). Dazu unzählige stumme Personen, Reliquien wie das Kreuz. Immer wieder Neuenfels und immer wieder neu. Der Regisseur in seinem Reich.

Für den „Lohengrin“ hat er eine Laborsituation entworfen, einen Kontrapunkt für das ganze Stück. Die Ratten wollen Menschen sein, und kaum gelingt es ihnen, da erleben sie ihre gescheiterte Hoffnung. Als Theaterfiguren, auf der Gürtelschnalle ein „L“ und im Rücken das Schwanenemblem, liegen die Menschen am Boden. Obwohl das trippelnd Rattige so entzückend anzuschauen ist, Theaterratten durchsichtig und doch geheimnisvoll rätselhafte Tiere sind, ist unübersehbar, dass sie als Edelleute und Volk von Brabant ein Gefangenenchor sind. Marionetten einer höheren Ordnung, für die besonders der Heerrufer des Königs steht. Denn Neuenfels gelingt das Kunststück, zusammen mit dem Unterhaltungswert seiner Schöpfung zugleich Richard Wagners „traurige Oper“ zu entfalten.

Ein Mann, Lohengrin, stemmt sich gegen die Tür des Labors, das Bühnenbildner Reinhard von der Thannen als strikt geometrischen Raum abbildet, ein fantastisches, helles Ambiente. Der Mann kämpft um Einlass, begreift Vergeblichkeit. Bis die Tür dann doch magisch aufgeht, er hineingeworfen wird wie alle. Seine Eiche erscheint als verdorrte Topfpflanze.

Lohengrin, Ritter des heiligen Gral, ist nach Brabant geschickt worden mit dem Auftrag, die Herzogin Elsa vor dem bösen Grafen Telramund zu schützen. Von führenden Ratten wird der Schwan in einer Art Wanne hereingetragen, in der später nur noch Schwanenfedern verbleiben. Eine Gesellschaft in scheinbar sicherer Existenz wird durch das Frageverbot Lohengrins verändert. Die Rattenkostüme dürfen einmal abgelegt werden zugunsten schicker Anzüge. „Sieg! Heil!“: Fröhlich fliegen die Hüte in die Höhe. Verfremdeter Nationalismus.

Zu den Kostbarkeiten der Inszenierung gehört, wie aus Lohengrin und Elsa (die anfangs, sehr Neuenfels-gemäß, als Hl. Sebastian auftritt) nun ein wirkliches Liebespaar wird. Und dass es echte und falsche Küsse gibt, diese von Ortrud, wenn sie nicht nur ihrem hörigen Gatten, sondern auch der armen Elsa aufgedrückt werden. Als schwarzer und weißer Schwan streiten sie vor dem Münster. Höhepunkt der Personenführung ist die Szene im Brautgemach, wo Elsa die verbotene Frage stellt: Lohengrins Werben, ihre Unberührbarkeit, die Angst beider, die bis zum ersten und letzten Ehekrach führt.

Wie der Brautchor „Treulich geführt“ als behend hüpfendes Rattenmärchen ad absurdum geführt wird, ist meisterhaft. Denn das Zwielicht der Szene, eine Trivialität, die zum Hochzeitsschlager geführt hat, aber in aussichtsloser Situation erklingt, kann nicht besser serviert werden. In Cocktail-Pastell sind die Rättinnen mit ihren Schwänzen zur Stelle. Vergebliche Hochzeit. Der Ring an Elsas Finger bleibt zu traurigem Gedenken.

Bei abgedeckeltem Orchestergraben ist der Dirigent im Festspielhaus gewöhnlich unsichtbar. Neuenfels wollte sich damit nicht abfinden. Während Elsa liebend mit der bösen Ortrud duettiert, die in ihrer Heuchelei noch böser ist als ihr Telramund, fällt hinter Glas schemenhaft Andris Nelsons ins Bild. Zu beobachten sind die weiten Gesten seines Dirigierens, das etwas Verzehrendes hat, einen Hang zu erhöhter Deutlichkeit in jedem Moment. Die Bewegungssprache ist schön und das klingende Ergebnis mit dem Festspielorchester kulminiert im feurigen Vorspiel des dritten Aufzugs.

Wildheit wie getragene Tempi: Spannung kommt aus der Situation, fertig ist der junge Lette mit der Partitur noch nicht – aber wer ist das schon? Als grandioser Partner dient ihm der Festspielchor, Eberhard Friedrichs Instrument.

Eine überirdische Stellung des Gralsritters, seine „höhere Natur“, wird von der Regie nicht intendiert. Dennoch ist Klaus Florian Vogt weniger der Mann von nebenan als ein Auserwählter in der Rattenmenschenwelt. Sein Lohengrin, der in der Gralserzählung unvermutet an die Grenze stößt, klingt mozartisch mit anrührenden Momenten. Die Darstellung unter Neuenfels, den der Sänger zu Einzelproben getroffen hat, lässt in ihrer Inbrunst keine Starallüren aufkommen. Samuel Youn als Heerrufer, Tómas Tómasson als Telramund und Georg Zeppenfeld als König imponieren mit stimmlicher Verve im jeweils klaren Rollenprofil. Annette Dasch und Petra Lang sind die Gegnerinnen Elsa und Ortrud. Die beiden Frauen scheinen an diesem Abend um ihr Leben zu singen. Sie überbieten ihre Kräfte. Lyrik und Dramatik fließen mit Klängen wie im Traum. So lässt sich, mag gehen und kommen was will, Bayreuth wieder einmal umarmen.

Als erste Bayreuther Produktion überhaupt wird Hans Neuenfels’ „Lohengrin“ am 14. August ab 17.15 Uhr live vom Fernsehsender Arte aus dem Festspielhaus übertragen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false