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Kultur: Ich will Spaß, ich geb Gas

Das britische Duo Turin Brakes verabschiedet sich vom Akustik-Pop

Das meckernde Lachen zu Beginn klingt schadenfroh. So als freue sich ein Grundschüler darüber, dass sein Banknachbar in eine Falle getappt ist. Die Falle ist ein gesampelter Beat, unter dem ein langer Keyboardakkord liegt. Das sorgt für 20 Sekunden Verwirrung. Wo sind die Akustikgitarren? Wird denn gar nicht geschrammelt? Ist das hier nicht die neue Platte dieser beiden sympathischen Folk-Jungs? Dann ist endlich der erste Gitarrenakkord zu hören, und die bekannte, helle Stimme schleicht sich heran. Turin Brakes klingen auch auf ihrem zweiten Album noch immer wie Turin Brakes. Turin Brakes, das sind Olly Knights und Gale Paridjanian, zwei 26-jährige Londoner. Der Name ihrer Band steht für persönliche Vorlieben: Paridjanian liebt die italienische Stadt Turin, Knights sammelt Bremsen, Brakes.

Entstanden ist „Ether Song“, das neue Turin Brakes-Album (Source/Labels), in Amerika. Geplant war der Ausflug in die Staaten nicht. Denn eigentlich wollten Turin Brakes alles wieder genau so wie vor zwei Jahren bei ihrem Debüt „The Optimist LP“ machen: Ein paar Songs schreiben und zu Hause aufnehmen. Das hatte schließlich gut funktioniert. Allein in Großbritannien wurde das Album über 200 000 Mal verkauft. Die Kritiker jubelten und verglichen Turin Brakes schon mit Simon & Garfunkel, Nick Drake und Leonard Cohen. Der „New Musical Express“ sah sie an der Spitze eines „New Acoustic Movement“, zu dem auch das norwegische Duo Kings of Convenience zählte. Deren Album „Quiet Is The New Loud“ gab dem Trend einen Slogan. Turin Brakes standen dem Hype skeptisch gegenüber. Für ihre zweite Platte wollten sie einen anderen Sound.

Ihre Plattenfirma fand, dass ein Produzent dabei helfen könnte – eine Idee, die dem Duo überhaupt nicht gefiel. Doch dann verstanden sich Knights und Paridjanian überraschend gut mit Tony Hoffer, der bereits Alben von Beck, Air und Supergrass produziert hatte. Er holte die beiden Engländer, die sich seit der Grundschule kennen, nach Los Angeles, um dort in wenigen Tagen die 13 Stücke von „Ether Song“ einzuspielen. Als Verstärkung kamen der Air-Schlagzeuger Brian Reitzell, der Beck-Bassist Justin Meldal sowie der texanische Keyboarder Dave Palmer hinzu. Und Knights und Paridjanian spielten neben ihren akustischen sogar elektrische Gitarren.

Sehr zum Vorteil des Resultats. Die Songs wirken druckvoller und akzentuierter als ihre Vorgänger von „The Optimist LP“. So branden Refrains jetzt schon mal ins Bombastische, Orgeln pluckern sphärisch, und weil das Musizieren offenbar so viel Spaß gemacht hat, brummen die Verstärker am Ende der Songs noch etwas vor sich hin. Es muss toll sein, endlich mal mit einem Motorrad loszurasen, nachdem man jahrelang auf einem Fahrrad herumgejuckelt war. Am meisten Gas geben Turin Brakes bei „Little Brother“, einer astreinen Retro-Rocknummer, der man anhört, dass die beiden nicht nur Joni Mitchell verehren, sondern auch die Black Crows mögen. Ebenfalls eine Überraschung ist „Pain Killer“, ein Mid-Tempostück über Sommerregen, Fahrräder und Liebe, das es auf die Playlist von Mainstream-Radiostationen schaffen könnte. Für sowas war die Musik von Turin Brakes bisher zu verträumt. Man konnte dazu unmöglich abwaschen oder aufräumen. Am besten saß man ruhig auf der Couch, starrte aus dem Fenster und betrachtete den Sternenstaub, der aus den Lautsprechern wehte.

Genau so sollte man es bei „Ether Song“ wieder machen. Denn trotz aller Neuerungen sind Turin Brakes auf ihrer zweiten Platte unverkennbar: Die Western-Gitarren geben den melancholischen Ton an. Dazu findet Knights wunderschöne Gesangsmelodien, bei denen er die Vokale zerdehnt bis die Verzweiflung ein wenig nachlässt. Stücke wie „Stone Thrown“ oder „Clear Blue Air“ scheinen mitten aus ihrem musikalischen Kosmos zu stammen. Turin Brakes beweisen schon zum zweiten Mal, dass sie zu den besten Songschreibern ihrer Generation gehören. Diese Platte wird bleiben.

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