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Kultur: Ich will weg

Aus dem argentinischen Chaos ins schöne Italien: „Ein Glückstag“ von Sandra Gugliotta

Glückstage gibt es nicht viele im krisengeschüttelten Buenos Aires. Erst recht nicht, wenn seit Wochen Strom und Wasser ausfällt, wenn die Eltern arbeitslos und depressiv zu Hause sitzen, der Großvater, ein Anarchist aus Sizilien, die Wiederkehr seiner revolutionären Träume wittert und man selbst 25 Jahre alt ist, frisch verliebt und nur einen Wunsch hat: dem Freund zu folgen, nach Italien. Und so schlägt sich Elsa mehr oder weniger lustlos durch verschiedene Straßenjobs, verteilt Vitaminpräparate, führt Befragungen durch. Erfolgreich ist sie nirgendwo: zu temperamentvoll, zu ungeduldig, zu schnell bereit, Streit anzufangen mit jedem, der ihr dumm kommt. Das große Geld, das sie für ihre Reise braucht, wird sie so nicht finden.

Es ist das Bild einer lost generation, das die nur wenig ältere Sandra Gugliotta in ihrem ersten Spielfilm „Ein Glückstag“ zeichnet. Oder das einer Generation im Aufbruch, je nach dem. Für Elsas „Ich will weg“ ist der italienische Freund, mit dem sie kaum eine Woche verbrachte, nur ein Vorwand. Die Sehnsucht nach dem europäischen Paradies – der Großvater besang es ihr in seinem „cucoliche“, dem wunderbar hispanisierten Italienisch – verbindet sich mit dem Gefühl, keinen Platz zu haben in der argentinischen Gesellschaft. Denn an den gesellschaftlichen Kämpfen ihrer Eltern wollen sie sich nicht mehr beteiligen, Elsa und ihre Freunde. Die Streiks, die Straßenkämpfe, die Proteste gegen eine korrupte Regierung sind ihnen gleichgültig. Geschickt bewegen sie sich durch Chaos des Alltags, verfolgen ihre eigenen Ziele, kleine (Drogen-)Deals hier und dort oder das Verticken von gefälschten Rezepten. Das alles knapp an der Elendsgrenze, von der Hand zum Mund, von Tag zu Tag, und doch ist immer noch Zeit für die Siesta auf dem Balkon, ein Picknick im Grünen oder eine Party auf dem Dach. Mitten im allgemeinen ökonomischen Kollaps nehmen diese vier sich das Recht zu träumen. So schlecht geht es ihnen gar nicht. Nur wissen sie es nicht.

Gedreht ist der Film fast dokumentarisch, zu Zeiten einer Stromsperre im Süden von Buenos Aires, in dem Stadtbezirk, in dem Gugliotta aufwuchs. Die Dunkelheit, die flackernden Straßenfeuer, die Gruppen der Protestierenden – alles wird mit einer huschenden, verwackelten Kamera eingefangen, die an Dogma erinnert. Die Spielfilmszenen fügen sich nahtlos ein, sie behalten etwas Vages, Unbestimmtes. Elsas Schweifen durch die abendliche Stadt, ihr Lebenstraum, alles wirkt merkwürdig ziellos. Und so kann es auch passieren, dass sie die wirkliche Liebe im Vorbeigehen verschenkt, einem kindischen Mädchentraum zuliebe.

Doch vorwerfen mag man ihr das nicht, ja, man glaubt es ihr sogar – dank Valentina Bassi als Hauptdarstellerin. Die junge argentinische Schauspielerin ist in ihrer Heimat längst ein Star – und brachte „Un dia de suerte“ auf der Berlinale 2002 den Caligari-Preis ein. Ihr bewegliches Gesicht, ihr breiter Mund, der verträumte Blick, das Temperament bezaubern noch bei jeder Fehlentscheidung. Sie ist robust genug, ihre Freunde vor den Kopf zu stoßen, und hängt doch sehr an ihrer Familie. Mag sein, dass die verschlungenen Wege, die Elsa bis nach Italien führen, manchmal schwer nachzuvollziehen sind. Mag sein, dass das, was sie dort finden wird, eine vorhersehbare Enttäuschung ist. Doch dank Valentina Bassi folgt man ihr gern.

Filmbühne am Steinplatz, Fsk und Hackesche Höfe (alle OmU).

Christina Tilmann

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