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Kultur: Ich zähle täglich meine Goten Schreck lass nach: „Titus Andronicus“ als Freilufttheater

Wenn der Sommer die Stadt lahm legt, die Tagesgeschäfte nur noch lässig absolviert und die Nachmittage am liebsten im Freibad vertrödelt werden, entspannt sich auch das Theater. Selbst die härtesten Klassiker bekommen etwas Luftiges, die blutigen Tragödien werden zu charmanten Scherzartikeln.

Wenn der Sommer die Stadt lahm legt, die Tagesgeschäfte nur noch lässig absolviert und die Nachmittage am liebsten im Freibad vertrödelt werden, entspannt sich auch das Theater. Selbst die härtesten Klassiker bekommen etwas Luftiges, die blutigen Tragödien werden zu charmanten Scherzartikeln. Und auch Shakespeare ist plötzlich nur noch ein besonders abgefeimter Pulp-Fiction-Autor, der unsterbliche Drehbuchautor der berühmtesten Soaps der Theatergeschichte. Wie sich sein erstes Theaterstück, das selbst für Shakespeares Verhältnisse enorm blutrünstige Römerdrama „Titus Andronicus“, in eine nicht übertrieben subtile, aber dafür freundlich komische Farce verwandeln lässt, führt die Bredemeyer Company vor. Ein kleines Podest im mittelalterlichen Klosterhof neben dem Podewil reicht als Bühne, gerne werden auch die Baugerüste an den Ruinenmauern bespielt und am Ende, wenn alle tot sind, wehen leuchtend rote Tücher vom Gerüst – eins für jede Leiche.

In Shakespeares Tragödie geht es um die infernalische Rache, die eine von den Römern unterworfene Goten-Fürstin an ihren neuen Herren nimmt. Das ist ein Kampf der raffinierten Barbarin gegen die Hochkultur. Ein Clash der Zivilisationen in der Antike, der Heiner Müller zu einer antikolonialistischen Rachefantasie inspiriert hat („Anatomie Titus“), in der afrikanische Raubtiere durch die Ruinen der Weltbank streifen und New York in Trümmern liegt. Solche komplizierten Gedankengänge mutet die sommerliche Aufführung in der Klosterruine ihren Zuschauern nicht zu. An diesem Abend geht es wie in allen guten Krimis und Vorabendserien nur um’s wesentliche: Sex and Crime.

Tamora, die Goten-Königin, ist hier eine germanisch derbe Walküre (Heike Reichenwallner), die mit ihrem schwarzen Sklaven Aaron einen Sonnenbrillenträger im schwarzen Netz-T-Shirt zur Seite hat, der in jeder Weddinger Eckkneipe gute Figur machen würde (Klaus Hänscheid). Der Reiz des Prolligen muss es sein, der den römischen Kaiser Saturninus (Oli Rickenbacher) dieser gotischen Wuchtbrumme verfallen lässt. Mit seinen schmachtenden Liebesseufzern erntet er die ersten Lacher des Abends, wobei es eher gleichgültig ist, ob man es hier mit unfreiwilliger oder gekonnt in Szene gesetzter Komik zu tun hat. Der Charme des leicht Dilettantischen ist es, der den Reiz dieser Inszenierung von Bert Bredemeyer ausmacht: Unbekümmertes Hau-drauf-Theater, das sich die guten Laune nicht von übertriebenen Kunstansprüchen verderben lässt. Die Gotin hintergeht ihren Kaiser mit dem Personal, was in einer drastisch gestöhnten Kabarettnummer am Bühnenrand lautstark vorgeführt wird: Goten-Zoten. Der blutrünstigen Vorlage folgend wird auch ausgiebig gemordet, geschändet und gefoltert, was aber der freundlichen Abendunterhaltung keinen Abbruch tut.

Klosterruine, Klosterstr. 73a (Mitte), bis 3. August, täglich außer Montag um 21 Uhr.

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