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Kultur: „Ihr Deutschen seid besessen von Politik“

Ein Provokateur, der sich missverstanden fühlt: 15 Minuten mit Oliver Stone, dem Regisseur von „World Trade Center“

„Sie hätten es wohl lieber gehabt, wenn ich noch einmal einen Film wie ,JFK’ gedreht hätte“, blafft Regisseur Oliver Stone die kritische Fünferrunde im Berliner Hotel Adlon an, die etwas zu hartnäckig nach den politischen Hintergründen seines Films „World Trade Center“ gefragt hat. Indeed, Mr. Stone. Und, weil wir schon dabei sind, warum nicht einen Film über George W. Bush? Nach Nixon, Kennedy, Fidel Castro? „Warum nicht? Das wäre eine große Geschichte. Bush ist eine sehr dramatische Figur. Aber die Geschichte ist noch lange nicht vorbei.“

Das ist der alte Oliver Stone. Das ewige enfant terrible Amerikas, das sich mit Hollywood und allen politischen Stellen in den USA anlegt, das in den wunden Punkten der amerikanischen Geschichte herumwühlt, Vietnam, der Nixon-Skandal, der unaufgeklärte Kennedy-Mord, zuletzt das Nicht-Verhältnis zu Kuba. Mit der französischen Revolution, mit dem Sturm auf die Bastille hat er die Anschläge vom 11. September 2001 verglichen, eine „Rebellion gegen die Globalisierung“. Selbst beim derzeitigen Werbeeinsatz durch Europa kritisiert er die Bush-Regierung, die Krieg gegen den Terrorismus führe, einen falschen dazu: „Der Krieg gegen Afghanistan war richtig. Der Irak-Krieg ist ein Desaster. Eine Verschwörung von Bush & Co., die den 11. September instrumentalisieren.“

Moment, Einspruch. In „World Trade Center“ gibt es die zentrale Figur des Marine David Karnes aus Connecticut, der in Gottes Auftrag auszieht, die Verletzten aus den Trümmern des World Trade Center zu retten. Eine Rambo-Figur, gespielt von Michael Shannon. Am Ende gibt er die weitere Richtung vor: „Es wird gute Menschen brauchen, um diese Tat zu rächen.“ David Karnes, lesen wir im Abspann, ist in den Irak gegangen und hat dort mehr als ein Jahr Dienst getan. Was bitte, Herr Stone, ist das, wenn keine Rechtfertigung des Irak-Einsatzes?

Es ist die Wahrheit, sagt Oliver Stone. Die Wirklichkeit. Die Fakten. David Karnes ist eine reale Figur, wie auch die in den Trümmern verschütteten Polizisten und ihre Angehörigen reale Figuren sind. Es ist alles „literal“, buchstabengetreu. Eine akkurate Geschichte. Ohne politische Aussage, sagt Oliver Stone.

Aber was ist nicht politisch? Ist es nicht politisch, über Werte zu sprechen, Werte wie Glaube, Mitleid, Liebe, gute, menschliche Werte, okay, auch konservative Werte – „aber sie gehören nicht dem rechten Lager!“. Ist es nicht politisch, über Patriotismus zu sprechen – „eine große, destruktive Kraft“ – und über die Liebe zum eigenen Land, für das er, Stone, doch immerhin in Vietnam gekämpft habe? Ist es nicht politisch, sich bewusst zu entscheiden, keine Verschwörungstheorie, keinen Aufklärungsfilm zu drehen, sondern eine „großartige Rettungsgeschichte“ zu erzählen, eine Mutmachgeschichte für ein Land, das Mut und Helden dringend nötig hat?

„Was ist mit euch los in Deutschland?“, wundert sich Oliver Stone, als nach 15 Minuten das Signal zum Aufbruch kommt, der Privatjet nach London steht bereit, die Promo-Tour geht weiter. „Ihr seid so besessen von Politik. Lasst doch auch einmal das Herz sprechen. Es gibt Beethoven, Goethe, draußen scheint die Sonne.“ Hand aufs Herz, Herr Stone: Etwas mehr Besessenheit hätten wir von Ihnen erwartet.

„World Trade Center“ läuft in 19 Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center. Die Kritik erschien am 20. September.

OLIVER STONE (60) macht vor allem Politkino für Hollywood. Wichtige Werke:

„Platoon“, „Geboren am 4. Juli“, „Natural Born Killers“ und die

Präsidentenfilme „JFK“ und „Nixon“

Christina Tilmann

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