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Kultur: Ihr Mollie, Herr Minister

Matthias Beltz’ Joschka-Fischer-Farce am Schauspiel Frankfurt

Godot kam nicht. Außenminister Fischer hatte zwar Karten bestellt, verpasste aber das nachgelassene Stück seines 68er-Weggenossen, des 2002 überraschend verstorbenen Kabarettisten Matthias Beltz. Aber es war auch so genügend ehemalige Frankfurter Sponti-Prominenz im Publikum, um dem Abend den Glanz eines stadthistorischen Ereignisses zu verleihen.

„Der Minister“ ließ auch auf der Bühne vergebens auf sich warten. Mit gutem Grund: Die Konfrontation mit den Niederungen der Realpolitik hätte den Abend bei Gerhard (Rechtsanwalt, 55) und Bille (Kinderärztin, 46) empfindlich gestört. Nur in Abwesenheit des Realitätsprinzips konnten die Luftballons der linken Träume noch mal so richtig in den Himmel steigen. Es ist der Abend des 11. September 2001, der, so Gerhard, die Welt verändern wird: durch seine Verlobung. Zwar flimmern später Fernseh-Töne vom Anschlag in den Raum, aber die Toscana-Fraktion erweist sich als weitgehend resistent gegen die angeblich epochalen Ereignisse. Bille und Gerhard jedenfalls, die Brautleute, pflegen die Verkehrsform der Ironie, die Aggressionen bindet und von (Selbst-)Verachtung nicht ganz frei ist. Eingeladen sind – neben dem Minister, der nicht kommt – zwei Stichwortgeber, die vor allem verraten, dass Matthias Beltz mit dem Stück nicht ganz fertig geworden ist: Billes Sohn Johannes, Student und „sensibler Skinhead“, und seine Freundin Mascha.

Gerhard lebt in der Vergangenheit. Sehr hübsch, wie Edgar Selge, unumstrittener Star der nett-harmlosen Inszenierung von Anselm Weber, den Abend eines anderen 11. September aufleben lässt. Damals, 1975, flogen im Frankfurter Westend Molotowcocktails und ja, sagt Gerhard, es war der Minister, der einen Polizisten verletzte. Doch was sich real zur Fischer-Affäre 2001 auswuchs, erscheint bei Beltz als Sandkastenspiel. Selge schaufelt imaginäre Polizeiautos und Demonstranten durcheinander und starrt mit visionärem Blick in eine Vergangenheit, deren Vorzug vor allem in Größenphantasien gelegen zu haben scheint, nicht im politischen Impetus.

In der Gegenwart ist Gerhard, hier ganz das alter ego seines Autors, ein manischer Pointenerzeuger. Statt Mollies zündet er Witze. Komplett wird die Farce, als Gerhard alkoholisiert zusammenbricht. Die beiden Polizisten, die das Haus bis zur Ankunft des Außenministers sichern sollten, stürmen den Raum, es fällt ein Schuss, und Gerhard hat – für ein paar glücklich-delirante Sekunden – seinen Heldentod für die Revolution.

Sarkastisch schreibt das Bühnenbild von Raimund Bauer statt „Revolution“ nur „Idyll“ in Großbuchstaben in den Raum. Dafür ist vor allem Bille zuständig, großzügig und mit der richtigen Mischung aus Ironie und Wärme gespielt von Franziska Walser. Die Küche aber ist der Ort der Zukunft. So zumindest sieht es Mascha, Wiedergängerin jener Meinhof-Tochter, die 2001 den Streit um Fischers Vergangenheit auslöste. Sie darf die Küche feiern als Ort der weiblichen Revolution, des ewigen Stillstands als Alternative zum Weltverbesserungsdrang der Männer.

Schade, dass Godot nicht kam. Ohne Maschas frohe Botschaft wird dem Bundesaußenminister wohl nichts anderes übrigbleiben als realpolitisch weiterzuwurschteln wie bisher.

Ruth Fühner

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