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Kultur: „Ihr Olympia-Film wird überleben“

Politik oder Ästhetik? Gespräch mit dem Riefenstahl-Biografen Rainer Rother

Herr Rother, in Ihrer Biografie attestieren Sie Leni Riefenstahl einen „Überschuss des Wollens“. Schon in ihrer Kindheit schwor sie sich, „niemals in meinem Leben das Steuer aus der Hand zu geben“. Muss man ihr Leben als Geschichte einer Emanzipation sehen?

Riefenstahl stieg in den Zwanziger und Dreißigerjahren zu Weltruhm auf, als es für Frauen nicht leicht war, außerhalb der tradierten Rollenklischees Erfolg zu haben. Als Schauspielerin in der Männerclique des Bergfilmers Arnold Fanck auf 2000 Metern zu klettern und zu drehen, dazu braucht man Behauptungswillen. Riefenstahl war ehrgeizig in einer Zeit, als das für Frauen noch unschicklich war. Ihr Vater hatte für sie eine Karriere als Bürogehilfin in seiner Klempnerfirma geplant. Sie musste ihm beweisen, dass sie mehr konnte.

Riefenstahl beharrte bis zuletzt darauf, dass ihre NS-Propagandafilme „unpolitisch“ seien. War sie so naiv, das wirklich zu glauben?

Sie dachte jedenfalls nicht in politischen Kategorien. Aber ich glaube auch nicht, dass ihr die politischen Umstände verborgen blieben. Sie hat viel zu viel mit den Größen des Dritten Reichs zu tun gehabt, um nicht zu begreifen, was passiert. Wie viele andere Deutsche hat sie gesagt: Ich selber mache mir die Hände nicht schmutzig, profitiere aber davon. Eine Distanzierung zu Hitler hat es bis kurz vor Kriegsende von ihrer Seite aus nicht gegeben. Hitler war für sie wichtig als Instanz, auf die sie sich berufen konnte, um ihre Filme in dem Aufwand und mit dem Budget verwirklichen zu können, das sie sich erwünschte. Der Diktator und die Regisseurin haben sich gegenseitig benutzt.

Bei Kriegsausbruch wurde Riefenstahl Augenzeugin eines Massakers in Polen. Danach – so behauptete sie später – habe sie das Regime mit anderen Augen gesehen.

Sie verschwieg aber, dass sie in Uniform mit einem „Sondertrupp Riefenstahl“ an die Front ging, um Hitlers Feldzug zu dokumentieren. Bei dem Ort Konskie sah sie ein Massaker, das die Wehrmacht an polnischen Juden beging. Sie hat, das ist verbürgt, daraufhin Protest eingelegt bei General Reichenau, dem Befehlshaber dieser Armee. Und sie hat ihre Arbeit an dem Film eingestellt. Zum Bruch mit Hitler kam es trotzdem nicht. Für „Tiefland“ mobilisierte sie alle ihre Kontakte, um ideale Drehbedingungen zu bekommen. Es wurde eines der teuersten Filmprojekte des Dritten Reichs.

Was wird bleiben von Riefenstahl?

Mindestens ihr Olympia-Film wird überleben, der sie auf der Höhe ihrer künstlerischen Möglichkeiten zeigt. Sie gehört zu den visuell mächtigsten Regisseuren des 20. Jahrhunderts, ihr Einfluss reicht weit in die heutige Werbeästhetik. Aber ich glaube nicht, dass man diese Kunst jemals ohne den Gesichtspunkt der Propaganda wird betrachten können.

Rainer Rother ist Autor der Biografie „Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents“ (Henschel 2000). – Interview: Christian Schröder

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