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Kultur: Im Anzug eingemauert

An der Neuköllner Oper katapultiert ein griechisches Regieteam Verdis „Aida“ ins Jahr 2012.

Für die Triumphszene in „Aida“ hat Verdi bekanntlich spezielle Trompeten anfertigen lassen. Die stehen hier nicht zur Verfügung – aber ein rhythmisches Tappen aufs Mikrofon genügt schon, um die Assoziationen an seine ägyptische Oper wachzurufen. Dazu zwei Celli und drei Melodikas, die die Musiker bedienen, indem sie in Schläuche pusten und zugleich Klavier spielen. Sieht ein bisschen aus wie Kinderzirkus, ist aber im Klangergebnis echter Verdi, bearbeitet von Kharálampos Goyós für „Yasou Aida!“, die neueste Produktion der Neuköllner Oper.

Goyós ist Grieche wie Regisseur Alexandros Efklidis und Texter Dimitris Dimopoulos. Die drei haben haben aus „Aida“ ein Stück über ihr Heimatland gemacht. Hier werden nicht die Äthiopier von den Ägyptern unterworfen, sondern Griechenland von der Europäischen Zentralbank. Da es Sklavinnen zumindest in Europa nicht mehr gibt, ist Aida die moderne Variante davon: Als griechische Praktikantin Elpida arbeitet sie in der Zentrale der EZB und verliebt sich – nein, nicht in Radames, aber in Rainer Mess, Beauftragter der Troika, der die Sparmaßnahmen überwachen soll.

Das ist, natürlich, zunächst alles haarsträubend willkürlich. Jedes unterdrückte oder sich unterdrückt fühlende Volk könnte sich in „Aida“ wiederfinden: Die Basken in Spanien, die Ossis in der Bundesrepublik, die Franken in Bayern, die Spandauer in Berlin. In dieser Produktion funktioniert es aber: Weil sie gut gemacht, witzig und intelligent ist, weil das Gespür für Timing stimmt und weil Verdi in jedem Augenblick ernst genommen wird. Zwar kommen die Triumphmarsch-Trompeten nur als Faschingströten daher - aber die Kritik am Pathos ist ja dem Original schon eingeschrieben. Die Zuschauer dürfen mitmachen und Schilder mit der Aufschrift „Unschuldig“ und „Betrüger“ in die Höhe halten. Schließlich ist Griechenland auch der Geburtsort demokratischer Mitbestimmung.

Lydía Zervanos singt die Titelfigur mit reizvoll eingedunkeltem Sopran und der richtigen Mischung aus Furcht und Selbstbewusstsein. Am Ende will sie für das neue Europa kämpfen, bekommt eine feste Stelle und einen Businessanzug – auch so kann man lebendig eingemauert werden. Alexander Sascha Nikolic als Rainer Mess (mit gut geöltem Tenor, aber Problemen in der hohen Lage) entwickelt sich dagegen zum Kapitalismuskritiker. Sirin Kilic ist hier nicht Amneris, sondern Anna Riche, die Chefin von Elpida. Sie kann sängerisch weniger Glanz entfalten, darf dafür aber ihre Rivalin anschreien: „Das ist mal wieder typisch griechisch! Zu nehmen, was dir nicht gehört!“ Selbstironie ist eine der Stärken des Abends. Eine andere ist Wahrhaftigkeit. Griechenland und der Euro – das ist ja alles unglaublich aktuell. Hier spürt man, dass die Macher selbst von der Krise betroffen sind und mit ihren Biografien die Story beglaubigen.

Ja, die Griechen haben gelogen. Wie jetzt mit dem Land umgegangen wird, ist trotzdem eine Demütigung. Der Blick der drei Theatermacher enthüllt, wie die Europäische Union in Griechenland gesehen wird: als neue Kolonialmacht der Gegenwart. In Berlin kann das Publikum darüber lachen. In Thessaloniki, wo das Stück auch aufgeführt werden soll, wahrscheinlich nicht. Udo Badelt

Weitere Vorstellungen bis 26. Februar.

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