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Kultur: Im Auftrag Ihrer Kanzlerin

Der Bundesnachrichtendienst wird 50 Jahre alt. Skandale und Misserfolge begleiten ihn. Doch der Wandel zum Dienstleister der Politik ist im Gange

Von Frank Jansen

Mitten in Suleimanyia im Irak hält der „Asaisch“, der Geheimdienst der irakischen Kurden, besonders gefährliche Gefangene fest. Fanatische Islamisten sind in dem Hochsicherheitstrakt eingepfercht, Kämpfer und Unterstützer von Terrornetzwerken wie Al Qaida, Ansar al Islam und Ansar as Sunna. Einer der Häftlinge ist Jassin F., der jahrelang in Dessau und München gelebt hat. Der bayerische Verfassungsschutz zählt den Kurden zum harten Kern von Ansar al Islam, es gibt Hinweise auf Geldwäsche und Spendensammeln.

Als Jassin F. im Februar 2004 festgenommen wird, hat er 40 000 Dollar bei sich. Der „Asaisch“ weiht den Bundesnachrichtendienst ein, mit dem kooperiert man schon länger. Es ist dieser Deutschlandaufenthalt von Jassin F., der den BND aufmerken lässt. Im April reisen Beamte nach Suleimanyia und treffen den Kurden im Gefängnis. Jassin F. ist verängstigt, erschöpft, verzweifelt, depressiv. Er bestreitet jeden Kontakt zu Ansar al Islam. Die BND-Männer brechen das Gespräch ab. Doch ihren Plan geben sie nicht auf: Sie wollen Jassin F. als Spitzel werben.

Anfang Juni 2004 kommt der BND wieder nach Suleimanyia. Die Beamten haben einen kleinen Trick vorbereitet, sie vermuten, dass Jassin F. auch diesmal depressiv sein wird. Tatsächlich weint der Kurde, er klagt über seine Haft in einer Einzelzelle, über nur drei Minuten Ausgang pro Tag, und dass er nicht mehr als einmal in der Woche duschen darf. Die BND-Männer trösten ein wenig – und wenden dann ihren Trick an: Sie reichen Coca Cola und Schokolade. Jassin F. verschlingt Brause und Süßigkeit. Und es wirkt. Koffein und Zucker, der das Glückshormon Serotonin mobilisiert, versetzen dem Kurden einen Gute-Laune-Schub. Er scheint sich sogar dem Gedanken einer „Kooperation“ nicht mehr zu verschließen, bittet aber um ein Gespräch mit Frau und Tochter. Die Sache lässt sich gut an, der „Asaisch“ gestattet den Angehörigen einen Besuch im Gefängnis. Doch dann folgt die Pleite. Beim dritten Treffen gibt sich der Terrorverdächtige unbeugsam. Er lehnt Getränke und Schokolade ab, bestreitet alle Vorwürfe. Der BND gibt auf.

Es ist eine kleine Geschichte, eine detaillierte Geschichte, die von der Mühsal nachrichtendienstlicher Arbeit erzählt oder von ihrer Banalität. Es sind Geschichten wie diese, die der deutsche Auslandsnachrichtendienst lieber geheim halten würde. Doch jetzt, kurz vor dem 50. Geburtstag des BND am 1. April, werden die Geheimdienstler wie selten zuvor von Bundestag und Medien durchleuchtet. Das erste halbe Jahrhundert des BND endet in einer Eruption von Zweifeln, Vorwürfen, Enthüllungen und Dementis. Dagegen ist die Schoko-Panne nur eine Marginalie. Viel mehr zehrt, dass der Start der nächsten 50 Jahre vermutlich von einem lästigen Untersuchungsausschuss begleitet wird. Und der wird fragen und bohren: Was genau haben die beiden Agenten in Bagdad während des Irakkrieges getrieben? Wie stark hat der BND die Invasion der Amerikaner unterstützt? Haben der Nachrichtendienst und andere Sicherheitsbehörden korrekt gehandelt, als Gefangene im US-Gefangenenlager Guantánamo, in Syrien und woanders befragt wurden? Gab es eine Verwicklung in die Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled al Masri durch die CIA und in die mysteriösen Geheimflüge des amerikanischen Geheimdienstes? Und was wussten die alte und die neue Bundesregierung? Harte Zeiten für den BND. Öffentlich seziert zu werden ist für einen Nachrichtendienst, der seine Aktionen so weit wie möglich abschirmen will und muss, der größte anzunehmende Unfall.

Der BND – geheimnisumwoben, bundesrepublikanisch, aber kaum einmal spektakulär. Die CIA der Amerikaner, den MI 6 der Briten, die vermeint man zu kennen aus Film, Funk und Fernsehen. Die Männer vom BND wurden „Schlapphüte“ genannt, das erinnert ein wenig an Harry Lime im „Dritten Mann“. Aber das war es auch schon mit Glamour. Ein Johann Bond, der im Auftrag Ihrer Kanzlerin die Welt rettet, das ist ungefähr so vorstellbar wie James Bond in Birkenstock.

Webfehler sind schon in den Anfängen des BND zu erkennen – und auch da schon die ewig erscheinende Abhängigkeit von den USA, die eine Stärke, aber auch wesentliche Ursache der aktuellen Probleme sein dürfte. Das Dilemma begann 1945, elf Jahre vor Gründung des BND. Hemmungslos deckten sich die Amerikaner mit Restposten des Naziregimes ein. Fairerweise muss man allerdings sagen, dass auch die „antifaschistischen“ Sowjets nicht wählerisch waren. Sie konnten jedoch weit weniger Sympathien bei früheren NS-Schergen erwarten – für die waren Amerikaner nur Feinde, Russen hingegen Untermenschen.

In den letzten Kriegswochen füllen Reinhard Gehlen, Generalmajor der Wehrmacht, und seine engsten Mitarbeitern 50 wasserdichte Stahlkisten mit Geheimmaterial. Als Chef der Spionage-Abteilung „Fremde Heere Ost“ kann Gehlen sich ausrechnen, welches Kapital er nach der Niederlage Deutschlands für eine neue Karriere benötigt. Die Stahlkisten sind randvoll mit Mikrofilmen, auf denen das geballte Wissen des Nachrichtendienstes der Wehrmacht über die Sowjetunion gespeichert ist. Der General und sein Stab verstecken ihren Schatz in den bayerischen Alpen, dann warten sie in einer Berghütte den Einmarsch der Amerikaner ab. Als die im Mai ’45 kommen, stellt sich die Gehlen-Truppe. Und der General gewinnt sein Pokerspiel. Schon im April 1946 gründen die amerikanischen Besatzungsbehörden die „Organisation Gehlen“, den Vorläufer des BND. Dass der Mann hochrangiger Nazimilitär war, who cares, im beginnenden Kalten Krieg gegen die Sowjetunion geht Pragmatismus vor Moral. Ein knappes Jahr später wird als Amtssitz des neuen Nachrichtendienstes ein kleiner, unauffälliger Ort in der US-Besatzungszone festgelegt, die Gemeinde Pullach südlich von München.

In Gehlens Organisation tummeln sich ehemalige Angehörige der SS, der Gestapo und anderer NS-Organe. Wichtiger noch als einschlägige Erfahrung in der Spitzelei ist eine streng antikommunistische Gesinnung. Die Einstellung zur gerade wachsenden westdeutschen Demokratie gilt als nebensächlich. Gehlen selbst inszeniert sich als mysteriöser Dunkelmann mit tiefschwarzer Sonnenbrille, eisgrauem Schnäuzer und dem Decknamen „Dr. Schneider“. Sein erster Erfolg: Er gewinnt das Vertrauen von Konrad Adenauer, dem Patriarchen der jungen Republik. Obwohl der doch von den Nazis verfolgt worden war, obwohl Gehlen die Aufgabe eines Auslandsnachrichtendienstes sehr eigenwillig auslegt und auch im Inland spitzeln lässt – sogar bei Politikern der SPD.

Den größten Skandal beschert der 1956 zum Bundesnachrichtendienst umbenannten Schattenarmee jedoch ein alter SS-Kamerad. Der einstige Obersturmführer Heinz Felfe hat sich erst den Briten angedient, dann wechselt er zu den Sowjets. Und die platzieren ihn in der Bonner Republik. Felfe giert nach Anerkennung als Superspion – ganz gleich von welcher Seite. Von 1951 bis zu seiner Verhaftung Ende 1961 saugt KGB-Spion Felfe Gehlens Nachrichtendienst aus. Zuletzt ist er für die komplette „Gegenspionage Sowjetunion“ zuständig und nimmt Einblick in zahllose Geheimakten der Bundesregierung. Ein Desaster für den BND, das auch nicht durch die beinahe exakte Vorhersage des Baus der Berliner Mauer 1961 repariert wird. Das Agentennetz im Osten ist weitgehend verloren. Gehlen bleibt trotzdem Präsident, bis 1968.

Neben Skandalen begleiten Misserfolge die Geschichte des BND. Wirklich ernst genommen wird er nicht, und dass seine Mitarbeiter angewiesen sind, in der Früh auf täglich wechselnden Routen zum Arbeitsplatz zu fahren, zeugt von rührender Geheimnistuerei. Die sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt halten nicht allzu viel vom BND. Schmidt lästert in den siebziger Jahren, er kenne meist schon aus der Tagespresse, was Pullach ihm vorlegt. Der BND ist verunsichert, weil seine Stoßrichtung nicht deutlich definiert ist. Die Regierung betreibt vehement einen Kurs der Entspannung, doch der Nachrichtendienst ringt weiter zäh mit KGB und Stasi. Immerhin ahnt der BND Ende der Achtzigerjahre, dass die DDR ins Schlingern gerät. Doch der Mauerfall überrascht die Geheimdienstler genauso wie die Politik. Der Dienst habe „sehr lange an dem Gedanken festgehalten, dass das Regime unter allen Umständen zur Aufrechterhaltung des Staates in der Lage sein wird“, schreibt Hans-Georg Wieck, BND-Präsident von 1985 bis 1990, auf seiner Homepage.

Dem BND gelingen jedoch beim Zusammenbruch des Ostblocks auch spektakuläre Erfolge. Ein General und ein Oberst der in Ostdeutschland stationierten Sowjettruppen werden als Quellen gewonnen. In der „Operation Giraffe“ besorgt der BND gemeinsam mit US-Kollegen russische Chiffriercodes sowie militärisches High-Tech-Material. Und die Giraffenjäger lüften 1990 das bestgehütete Geheimnis der Roten Armee: mit Spezialgerät der CIA werden auf Rügen in einem abenteuerlichen Einsatz heimlich Atomsprengköpfe identifiziert, die in einem Sonderzug zum Hafen Mukran rollen, für den Rücktransport nach Russland. Der Ablauf der Aktion erinnert allerdings an eine Agentensatire. Geplant war, dass ein auf den Gleisen stehender Trabant den Zug zum Halt zwingt und die Agenten dann das atomare Material orten. Tatsächlich war es ein diensteifriger, aber ahnungsloser Bahnhofsvorsteher, der den Zug mittels Signal zum Stehen brachte.

Dann folgen wieder Skandale. Im Sommer 1994 fädeln zwei BND-Mitarbeiter und das bayerische Landeskriminalamt den Schmuggel von Plutonium ein. Drei Kleinkriminelle schaffen 363 Gramm des hochgiftigen Materials an Bord einer Lufthansa-Maschine von Moskau nach München. Doch der als „Operation Hades“ getarnte Deal, mit dem angeblich Hintermänner des internationalen Atomschmuggels entlarvt werden sollen, fliegt auf. Die Empörung in Politik und Medien ist gewaltig, Bundestag und Bayerischer Landtag setzen Untersuchungsausschüsse ein. Die Ermittlungen verpuffen indes im Streit zwischen Regierungsparteien und Opposition, die Regierung Kohl und ihr Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer kommen heil aus der Affäre heraus. Ein Menetekel für den Untersuchungsausschuss zum Treiben im Irakkrieg?

Mitte der Neunzigerjahre gerät der Erste Direktor des BND, Volker Foertsch, durch Hinweise eines Moskauer Informanten mit dem Decknamen „Rübezahl“ in den Verdacht, er sei ein „Maulwurf“ der Russen. Ein zweiter Fall Felfe? Die Bundesanwaltschaft beginnt ein Ermittlungsverfahren, stellt es aber wieder ein. Der agile Foertsch, einst noch von Gehlen gefördert, wird rehabilitiert. Welcher hochrangige Beamte im BND für die Russen tätig war, bleibt offen. In der Zentrale in Pullach ist vielen Beamten mulmig. Bis heute.

Im vergangenen November kommt heraus, dass der BND in den Neunzigerjahren mehrere Journalisten bespitzelt hat. Der Nachrichtendienst ärgerte sich über ein kritisches Buch des Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom. Er hatte offenkundig vertrauliche Informationen von BND-Mitarbeitern verwertet. Um die Zuträger zu entlarven, observierten Beamte der BND-Abteilung Sicherheit Schmidt-Eenbooms Domizil im oberbayerischen Weilheim – und spionierten Journalisten hinterher, die den Buchautor besucht hatten. Doch die Affäre interessiert heute kaum noch. Sie wird überblendet durch die knalligen Enthüllungen über das Treiben der zwei BND-Agenten im Irakkrieg, als Helfer der US-Armee.

Die Aufregung über Skandale und Abenteuer verdeckt, dass der BND sich wandelt. Ein symbolischer Akt war die Änderung des Pullacher Entrees: Das Schild mit der fast schon satirischen Geheimaufschrift „Behördenunterkunft“ lässt der alerte Präsident Hansjörg Geiger 1996 durch einen leuchtenden „Bundesnachrichtendienst“ ersetzen. Doch vor allem Geigers Nachfolger, der 1998 ins Amt gekommene August Hanning, ein groß gewachsener Mann mit dem Appeal stählerner Freundlichkeit, öffnet den Dienst. Der antikommunistische Muff ist passé, der BND reift zum nüchternen Dienstleister für Politik – und zunehmend auch für die Medien. Hanning lädt Journalisten zu regelmäßigen Hintergrundgesprächen, um ihnen vor allem nach dem Schock des 11. September 2001 die reale Gefahr des islamistischen Terrors zu beschreiben und überflüssigen, panikschürenden Schlagzeilen vorzubeugen. Und Hanning forciert den im BND ziemlich unpopulären Umzug von Pullach nach Berlin, um der Regierung so nahe wie möglich zu sein. So erscheint der deutsche Auslandsnachrichtendienst heute, trotz aller Affären, als eine halbwegs normale Behörde – mit 6000 Mitarbeitern und einem Jahresetat von mehr als 430 Millionen Euro. Aber ein bisschen Abenteuer bleibt. Dafür sind vor allem die rund 600 Beamten zuständig, die aus der Bundeswehr stammen, oft ehemalige Elitesoldaten. Sie werden in Krisenregionen eingesetzt, so wie die beiden BND-Agenten in Bagdad. Da werden nach überstandenem Einsatz schon mal wüste Partys gefeiert. Mit reichlich Bier und Salven aus der Maschinenpistole.

Der BND kann sich allerdings wandeln wie er will, selbst 59 Jahre nach Gründung der Organisation Gehlen bleibt er der Juniorpartner der Amerikaner. Auch wenn der Dienst es wagte, vor dem Irakkrieg den Spekulationen der Amerikaner über Verbindungen Saddam Husseins zu Al Qaida halblaut zu widersprechen. Aber was könnte der BND ohne die Amerikaner ausrichten?Der Bedrohung durch die Sowjetunion war die Bundesrepublik alleine nicht gewachsen. Genauso wenig wäre sie es jetzt in der Konfrontation mit dem islamistischen Terrorismus. Der BND und sein neuer Präsident Ernst Uhrlau wie auch Vorgänger Hanning können und wollen gar nicht die CIA imitieren, die mit raketenbestückten Drohnen Terroristen abschießt, Verdächtige entführt und Geheimgefängnisse unterhält. Der deutsche Dienst profitiert indes von Methoden ausländischer Partner weit jenseits rechtsstaatlicher Grundsätze. Manchmal ohne Not, aber dann erst recht der Logik gehorchend, die schon beim Aufbau der Organisation Gehlen galt – Pragmatismus geht vor Moral. Mit Schokolade und Coca Cola.

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