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Kultur: Im Dunkel

„Art War“ zeigt Ägyptens subversive Kunstszene.

Sie bezeichnen die Mauern als „Wandzeitungen der Revolution“ – Propaganda, die sie der Propaganda der Herrschenden entgegensetzen, Graffiti als Chronik der Gräueltaten des Regimes. Geschichte in Bildern festzuhalten, ist in der ägyptischen Kultur fest verankert. Die Dokumentation „Art War“ begleitet junge Künstler in der Zeit nach dem Sturz Mubaraks bis zur Entmachtung des Präsidenten Mursi und der Muslimbrüder durch das Militär. Filmemacher Marco Wilms, in der DDR geboren und mit Revolutionen durchaus vertraut, hat sich beängstigend nah ans Geschehen gewagt: nicht nur in den Straßenschlachten mit Polizei und Militär oder inmitten jubelnder Menschenmassen, auch bei den subversiven Aktionen der Künstler. Nachts tauchen sie im Dunkel von Kairos Gassen ab. Mit Schablonen malen sie Steckbriefe von Polizisten an die Wände. Tagsüber diskutieren sie mit schaulustigen Ägyptern auf den belebten Straßen rund um den Tahrir-Platz.

Die Gefahr ist allgegenwärtig. Der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad wird auf der Straße wegen seiner T-Shirt-Aufschrift angefeindet: „God is busy. Can I help?“. Auf die wachsende Gewalt reagieren Kreative mit gesteigerter Radikalität. Die bemalten Mauern in der Mohamed-Mahmoud-Straße in Kairo waren zunächst ein Zeugnis für die Opfer des Militärs in der Revolution. Als die Gemälde verschwanden, malten die Künstler die Opfer des neuen Regimes – diesmal misshandelte, von Panzern überrollte Gesichter.

Mit seinen rasanten Schnitten und Szenenwechseln, unterlegt von martialischer Musik und aggressiven Raps, gerät der Film zuweilen ähnlich turbulent wie die Ereignisse selbst. Durch die streng chronologische Erzählweise behält der Zuschauer trotzdem den Überblick. Wilms gelingt ein wichtiges Zeitdokument und ein intensives Porträt ägyptischer Subkultur aus der Perspektive der Aktivisten. „Art War“ ist Chronik und Momentaufnahme zugleich. Die gezeigten Werke sind selbst oft nicht von Dauer: Ähnlich wie die Machtverhältnisse befindet sich auch das Straßenbild im steten Wandel, Malereien werden verfremdet oder entfernt. Die Einstellung der Revolutionäre spiegelt sich im Satz des Straßenkünstlers, der ein Wandgemälde erneuert, das gerade von Nationalisten zerstört wurde: „Wenn sie es übermalen, machen sie es mir nur leichter. Dann male ich auf einer frischen Wand.“ Philipp Sickmann

Ab 23. 1. in den Kinos Lichtblick, Moviemento, Sputnik und im Hackesche Höfe Kino. Am 24. 1. sind Wilms und zwei ägyptische Straßenkünstler in den Hackeschen Höfen anwesend. Am 28. 1. stellt der Regisseur „Art War“ im Lichtblick-Kino vor.

Philipp Sickmann

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