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Kultur: Im Fieber

Deutsche Museen stoßen an ihre Wachstumsgrenzen.

Dieser Tage legte der Museumsbund seine gemeinsam mit dem Berliner Institut für Museumsforschung erarbeitete „Denkschrift zur Lage der Museen“ vor (Bernhard Graf, Volker Rodekamp, Hg. Museen zwischen Qualität und Relevanz. G + H Verlag, Berlin 2012, 413 S., 38 €). Das ist zwar mehr eine Anthologie von Einzelbeiträgen als eine wirkliche Denkschrift, aber der Wunsch ist deutlich, sich über die gemeinsame Basis zu verständigen. Die Aufgaben des Museums, sollte man meinen, sind unverrückbar mit dem Quartett „Sammeln–Bewahren–Erforschen –Ausstellen“ definiert. Doch die Prioritäten verschieben sich.

Jahrzehntelang stand das „Ausstellen“ im Vordergrund. Mittlerweile ist bei bundesweit über 110 Millionen Besuchern im Jahr allerdings wohl ein Sättigungsgrad erreicht. Die Denkschrift lenkt die Aufmerksamkeit wieder in Richtung Forschung. Das klingt zunächst einmal einleuchtend, blendet aber die Frage aus, welchen Stellenwert museale Forschung im Zeitalter der virtuellen Verfügbarkeit aller Objekte überhaupt besitzt. Ist es nicht eher die Vorstellung des ein Berufsleben lang die Museumssammlung katalogisierenden Museumsbeamten, die der Vater des Gedankens ist? Und wo wüsste die Denkschrift große Forschungsleistungen der Museen zu benennen?

Das verweist auf das Problem des Sammelns. „Mit Blick auf manche ins Kraut geschossene Sammlungstätigkeit“ – so die Museumsdirektoren Uwe Meiners und Willi Xylander – sei „festzustellen, dass in Museumskreisen eine verbreitete Sammlungsratlosigkeit gegenüber der überbordenden Objektkultur der Dienstleistungsgesellschaft des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts besteht“. Der Satz bezieht sich vorrangig auf kulturhistorische Museen, die inzwischen vor dem uferlosen Sammlungsfeld der „Alltagskultur“ in die Knie gegangen sind. Er gilt aber für alle Museen, die – anders als naturhistorische oder technikgeschichtliche Sammlungen – kein abgrenzbares Objektgebiet bearbeiten. Auch das uferlose Wachstum der Museen zeitgenössischer Kunst ist ein Zeichen solcher Überforderung. Immerhin appelliert Museumsbundpräsident Volker Rodekamp an seine Kollegen, Museen müssten „sich heute fragen, warum und vor allem was sie sammeln wollen, im Sinne einer nachhaltigen Sammlungsstrategie“.

Zumindest die quantitative Zunahme der Museen – in Deutschland gibt es um die 6000 – wird in der Denkschrift als Problem beschrieben. Ob man gelegentlich ein Museum auflösen oder mehrere ähnliche Einrichtungen zusammenlegen dürfe – diesen ketzerischen Gedanken wagt die Denkschrift nicht zu äußern.

In der von Bernhard Graf (Museumsinstitut) und Volker Rodekamp (Museumsbund) formulierten Bilanz wird konstatiert, Museen erreichten „ein breites Publikum“. Doch zugleich findet sich die Frage, „warum die Mehrheit der Gesellschaft, obwohl die Tür in die Welt der Museen weit aufgestoßen ist, von ihren Angeboten nicht erreicht wird“. Ist die Institution Museum vielleicht doch nicht die alle Schichten übergreifende Kulturvermittlungsinstanz, als die sie sich in ihrer nun schon vierzig Jahre währenden Wachstumszeit verstehen gelernt hat?

„Keine Zeit scheint museumsfreudiger als die unsere“, stellte Gottfried Korff bereits 1990 fest. Korff, Ideengeber der Preußenausstellung 1981 wie auch derjenigen zum Stadtjubiläum Berlins 1987, wunderte sich über „Museumseuphorie und -fieber“. Fieber! Womöglich mehren sich Anzeichen für einen aufkommenden Schüttelfrost. Bernhard Schulz

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