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Kultur: Im Glutkern der Sprache

Romantik ist gefährlich: Das Berliner Brecht-Haus erinnert an den Dichter Franz Fühmann

Manche glauben, der Anfang vom Ende der DDR lässt sich genau datieren. Es war Biermanns Ausbürgerung 1976. Das Jahr stimmt. Aber 1976 geschah noch etwas anderes. Franz Fühmann (1922 bis 1984) hielt einen Vortrag über E.T.A.Hoffmann in der Akademie der Künste. Das, befand Peter Hacks später, war der eigentliche Anfang vom Ende der DDR. Hacks konnte das begründen: „Das erste Auftauchen der Romantik in einem Land ist wie Salpeter in einem Haus, Läuse auf einem Kind oder der Mantel von Heiner Müller am Garderobenhaken eines Vorzimmers. Ein von der Romantik befallenes Land sollte die Möglichkeit seines Untergangs in Betracht ziehen.“ Für diesen leicht krachledernden Humor lieben noch heute viele im Osten Peter Hacks, und für die Vorzüge seines Weltbildes: Ein Hacksianer hat immer Recht, denn er ist die Personalunion aus Hegelschem Weltgeist und Stalin. Man erkennt einen Hacksianer an seinem Lächeln. Er lächelt von weit oben herab.

Die Nachfahren Fühmanns müsste man auch an ihrem Lächeln erkennen, es würde ein melancholisches sein. Aber gibt es noch Nachfahren Fühmanns? Es ist, als habe sich nach 1989 ein weißes Tuch des Vergessens über viele gelegt. Einzelne kehrten zurück: Brigitte Reimann, Maxie Wander. Aber Fühmann? Dabei ist dieser Mann die persongewordene Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das schaffen nicht viele. Vor allem war er Dichter. Das schaffen die wenigsten.

Mit diesem Satz „Er war ein Dichter“ hörte am Montag im Brecht-Haus der erste Tag der Fühmann-Woche auf. Und es war kein Allgemeinplatz; es war eine Erkenntnis. Man erfuhr, was man schon wusste, noch einmal neu. Drei Weggefährten, die Hörspielfrau Christa Vetter, der Verleger Dietrich Simon und der Bildhauer Wieland Förster sprachen über Fühmann, und es entstand eine Intimität des Erinnerns, die einen Menschen aus kleinsten Gesten erklärt. Ende der Sechziger trat auf den Bildhauer Wieland Förster ein irritierend großer Mann zu – der Bildhauer in Förster registrierte sofort etwas „Blockartiges“. Dieser Block streckte ihm die Hand entgegen mit den Worten: „Mein Name ist Franz Fühmann. Ich war Stalinist, das habe ich überwunden und sehe jetzt die Möglichkeit gekommen, dass Sie mich in Ihrem Atelier empfangen können.“ Das machte der Bildhauer; der Nicht-mehr-Stalinist besichtigte das Atelier und hatte dann eine Bitte: „Könnten Sie mich mal eine Stunde allein lassen?“ Der irritierte Bildhauer verschwand, und Fühmann begann eine Privatunterredung mit dessen Skulpturen.

Franz Fühmann, das Kind aus dem Sudetenland, wurde in einem Jesuitenkolleg bei Wien erzogen, diese Ausbildung machte ihn umgehend zum Atheisten, aber irdischen Alleinvertretungsansprüchen misstraute er noch nicht. Er trat 1938 der Reiter-SA bei und meldete sich ein Jahr später freiwillig zur Wehrmacht. Fühmann, der Faschist, geriet in sowjetische Gefangenschaft und kurz vor Weihnachten 1949 betrat ein junger Stalinist den Boden der DDR, „noch schwitzend vor Eifer, sich als neuer Mensch zu bewähren“ (Heiner Müller). Personen, die zu solchen Intensitäten fähig sind wie Fühmann, sind als Stalinisten bedenklich. Sie sind auch für sich selber eine Zumutung, denn der Satz „Ich war Stalinist, das habe ich überwunden“, stellt eine kolossale Verharmlosung dar. Fühmann rechnete mit dem Stalinisten in sich ab; er sezierte sich bei lebendigem Leib.

Eine ganze Generation in der DDR hat den Stalinisten Fühmann nicht mehr gekannt; sie kannte vor allem den späteren, den Fühmann des Ungarn-Tagebuchs „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“ und natürlich den Fühmann des großen Georg-Trakl-Essays. Da macht einer Erfahrungen mit dem Gedicht eines anderen, dringt vor bis in den Glutkern der Sprache, wo die Worte wieder flüssig werden, und dieses ästhetisch-existenzielle Martyrium bildet eine ganze Generation – politisch. Fühmann, der Erzieher. Hacks hat das richtig beobachtet. Romantik beginnt, wenn Menschen abfallen von den falschen Rundheiten, den mörderischen Metaphysiken.

In den letzten Wochen machte ein seltsames Wort die Runde: Proletarisierung. Fast glaubte man selbst schon, die DDR war so dumm wie sie aussah. Aber dann genügt es, Fühmanns Stimme zu hören (eine Äußerung Anfang der Achtziger zur Friedensbewegung, sie sei der Beginn einer „Weltinnenpolitik von unten“), um wieder zu wissen, was die DDR auch war: ein Ereignis des Denkens, eine faszinierende, existenzielle Hochspannung des Geistes. Proletarisierung? Fühmann, dieser Mann von seltenster sprachlicher Sensibilität ging eines Tages in den Siebzigern ins Bergwerk. Er fuhr mit den Kumpeln des Kali- und Kupferbergbaus unter Tage; sie beargwöhnten ihn: Was will denn dieser Schriftsteller? Hier wird gearbeitet! – Fühmann blieb, ganze Schichten, ganze Wochen lang, er kam immer wieder. Wenn ein haltbarer Weltbegriff zu gewinnen sein sollte, dann hier. Die Wirklichkeit als Schichtenbau und Stollensystem, mythentief. Im Innern der Erde sein, im Innern der Worte sein – dem Mythologen Fühmann war das so verschieden nicht. Er hat „Im Berg“ nicht vollendet. Er hat ihn den „Bericht eines Scheiterns“ genannt. Am Montagabend im Brecht-Haus widersprach der Germanist Frank Hörnigk: Dieses Werk war nicht zu vollenden, und Fühmann hat es gewusst. Das Bekenntnis zum Fragmentarischen ist urromantisch.

Heute: „Wenn Dichtung ins Leben tritt und Leben in die Dichtung“ (Filmdokumente und Gespräch), Donnerstag: „Das mythische Element in der Literatur“ (Gespräch mit Tondokumenten); Freitag: „Das Bergwerk – Franz Fühmann“ (Film und Gespräch) jeweils 20 Uhr im Brecht-Haus, Chausseestraße 125.

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