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Kultur: Im Groschengrab

Kommt ein Bote gesegelt: Brechts Evergreen im Hans-Otto-Theater Potsdam

Ist das je ein Theater gewesen, die schmucklos nüchterne Hülle aus grauem Metall am Alten Markt in Potsdam? Jetzt ist sie jedenfalls keines mehr. Die Wellblechwände stehen noch, die Zuschauer dürfen nach wie vor Platz nehmen auf den Sitzen der ansteigenden Stufen – aber die hochgelagerte Bühne ist leer. Nur sich selbst ausstellend, gesäubert und gefegt für Brechts „Dreigroschenoper“. Ein Raum zum Frieren. Hier, das war die Hoffnung, könnte man das dreiste Stück von Bettlern, Räubern, Huren, Bräuten besonders wirkungsmächtig und ablenkungslos spielen – hier, so erweist es sich, kann man nichts spielen.

Die Leere schluckt alles. Sie macht unwesentlich, was die Schauspieler treiben. Sie saugt die Musik in sich hinein, lässt sie trotz Mikroport-Verstärkung stumpf und gleichförmig klingen. Dabei haben Regisseur Tobias Sosinka und Bühnengestalter Kaspar Glarner einen besonderen Einfall gehabt – sie steigern das industriell Kalte des gähnenden Raumes durch einen Container, der zu ebener Erde wie von Geisterhand hereinfährt, und einen zweiten, der an Seilen hängend von oben dazukommt. Die Container spucken die Darsteller aus, enthalten die Spielorte, geben widerwillig her, was das Gefüge der Handlung braucht. Sie bleiben dabei verzweifelt gesichtslos, rücken fern, statt Nähe und Konzentration herzustellen. Die Darsteller, wie in eine Wüste geschickt, haben es schwer.

Auch Dieter Mann, auf dessen Macheath sich große Erwartungen gründeten. Ein nicht mehr ganz junger, gebildeter, gut erzogener Mann von Lebensart und Charakter steht auf der Bühne, der mit leiser Resignation und mäßig amüsierter Müdigkeit die Welt betrachtet und die seltsamen Geschöpfe, mit denen er es zu tun hat. Kein zynischer Verführer, kein glanzvoller Liebhaber, kein genialer Ganove. Ins Bankfach muss dieser Räuberhauptmann nicht wechseln, weil er längst drin ist und sich dort langweilt. Aber dann müssten schon Erfindungsgeist und Temperament her für die Welt, mit der sich Macheath auseinander zu setzen hat. Diese Welt aber lässt Sosinka im Ungefähr. Sie wird nicht identifiziert, bleibt gleichförmig, spannungslos, Funken sprühen nicht. Wer sind diese Räuber, Bettler, Huren, in welcher Gesellschaft leben sie, wo geht die Reise hin, zum Aufruhr, zur bürgerlichen Karriere? Es gibt keine Antwort – und deshalb kann Dieter Manns Macheath nicht mehr sein als ein soignierter Herr, der nicht weiter auffällt. Überraschend ist, dass der Schauspieler, ein Meister spielerischen Witzes, sich fast unterwürfig ins Ensemble fügt und mit den gesanglichen Anforderungen der Rolle einige Mühe hat.

Aggressivität, Frechheit, Provokation fehlen in der Aufführung ohnehin. Tobias Sosinka widmet den Liedern besondere Aufmerksamkeit (und kürzt dafür den Sprechtext unbarmherzig), vermag aber die untergründige Ironie der Song-Nummern nicht sinnlich zu machen. Unter Wolfgang Katschner müht sich die „3Groschen Compagney“ leidenschaftlich und redlich, aber auch alles andere als widerspenstig um die längst allzu eingängige Musik von Kurt Weill. Es herrscht, bei allem Einsatz, zu viel Vorsicht in Spiel und Gesang. Die Oper für drei Groschen soll nicht ins bloß Genüssliche kippen – dafür wird Nüchternheit in Kauf genommen. Nur – die aufs Nackte reduzierte Blechhülle will alle Anstrengung nicht wahrhaben. Sie bleibt, was sie ist.

Jonathan Peachum, der Bettlerkönig, befindet sich, so lässt ihn Brecht sagen, „auf der Welt in Notwehr“. Viel zu spüren ist davon nicht, denn Andreas Herrmann gibt dem Unternehmer eine ähnlich gepflegte, zurückhaltende Bürgerlichkeit wie Dieter Mann dem Macheath. Und so darf auch Rita Feldmeier die tumbe Alkoholseligkeit der Mrs. Peachum allenfalls andeuten. Deftiges, gar Ordinäres wird nur vorsichtig zitiert, auch von den Darstellerinnen. Jennipher Antoni zeigt die Polly als kindliche Braut mit staunenswerter Abgebrühtheit, in den Liedern belässt sie es bei mädchenseliger, sopranheller Naivität, das Abgründige der mit Unschuld wie mit einer Ware hantierenden Göre erreicht sie nicht. Stefanie Wüst als Lucy setzt frauliche Reife, Lust am derb Parodistischen dagegen – und präsentiert hinreißenden gesanglichen Glanz, der im Ensemble unerreicht bleibt. Die Chefin der Huren gibt Anne Lebinsky mit Würde und einem Hauch Verruchtheit, Roland Kuchenbuch ist der harmlos bärengemütliche Polizeichef Brown. Zum Schluss übrigens kommt nicht der reitende, sondern der segelnde Bote des Königs, mit einem aus braunem Packpapier gefertigten Schiffchen wie vom Trödelmarkt. Aber auch das ist nicht Witz und Wagnis genug.

Weitere Aufführungen am 6., 8. und 12. Oktober, jeweils 19.30 Uhr.

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