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Kultur: Im Häusermeer

Überbordend: „Piraten“ in der Neuköllner Oper

Piraten haben mittlerweile ein ziemlich mieses Image. Man denkt an Produktfälscher und Finsterlinge, die illegal Filme aus dem Netz laden, schnöde Copyright-Räuber eben. Ein Problem übrigens, das schon Arthur Sullivan und William Schwenck Gilbert kannten, deren Oper „H. M. S. Pinafore“ zu ihrer Zeit hundertfach unautorisiert nachgespielt wurde. Was die um ihre Tantiemen geprellten Künstler dann ironisch im Titel ihres Folgehits anklingen ließen: „The Pirates of Penzance“. Diese komische Operette von 1879, die hundert Jahre später auch ein Broadway-Musical-Erfolg wurde, hat jetzt Andreas Gergen, der „Pinkelstadt“-Regisseur, an der Neuköllner Oper neu belebt und zur umjubelten Premiere gebracht. In der Fassung von Librettist Andreas Bisowski, auf den schlichten Titel „Piraten“ reduziert und zur „BeBerlinette“ umgedichtet, geht es, da schließt sich der Kreis, ums moderne Selbstmarketing einer Familie heutiger Großstadt-Piraten-Punks. Eine überbordende Anti-Kapitalismus-Groteske wird erzählt, und gleichsam eine schrill-schöne Seifenoper.

Das Geschehen ist von der Küste Cornwalls ins autonome Milieu Kreuzköllns gewandert, wo der Kommunen-Spross Frederik (stark: Aris Sas) seinen 18. Geburtstag zum Anlass nimmt, mit den Idealen seiner spätspontiesken Zieheltern Ruth und Rainer (April Hailer und Christoph Reiche) zu brechen. Er will keine Villen mehr anzünden, er will in ihnen wohnen. Und die erste Liebe findet er ausgerechnet in der Zehlendorfer Großbürgertochter Mabel (mit einer tollen Koitus-Arie: Anne Görne), deren Vater Igor Zitsche (Ulrich Lenk) ein berüchtigter Spekulant ist – der Immobilienhaifisch, der hat Zähne.

„Piraten“, vom musikalischen Leiter Hans-Peter Kirchberg in den Chorpassagen mit sicherem Gespür für Pointen navigiert, hebelt dabei die ideologischen Verklärungen im Kampf ums Häusermeer aus: Die Revoluzzer-Veteranen haben einen Senatsvertrag und posieren für Touristen. Und der Immobilienhai wird so weit in die Karikatur getrieben, dass er mit Sprengstoff umgürtet den Kapitalisten-Dschihad ausruft. Gut, nach der Pause läuft die Story aus dem Ruder, aber zuvor inszeniert Regisseur Gergen mit viel bösem Humor, parodiert mit seiner vor Berlin-Anspielungen berstenden Asozialen-Ballade Elendsmusicals wie „Les Miserables“. Patrick Wildermann

Do – So, bis 20. November

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