zum Hauptinhalt

Kultur: Im Haifischbecken

Eine große deutsche Kunstzeitschrift veröffentlichte vor ein paar Jahren eine Artikelserie, in der es um „unterbrochene Karrieren“ ging. Anhand prominenter Beispiele wurde damals die These vertreten, dass Künstlerlaufbahnen erst dann ernsthaft in Fahrt kommen, wenn zuvor irgendwann einmal etwas so richtig schief gelaufen ist.

Eine große deutsche Kunstzeitschrift veröffentlichte vor ein paar Jahren eine Artikelserie, in der es um „unterbrochene Karrieren“ ging. Anhand prominenter Beispiele wurde damals die These vertreten, dass Künstlerlaufbahnen erst dann ernsthaft in Fahrt kommen, wenn zuvor irgendwann einmal etwas so richtig schief gelaufen ist. Herbert Volkmann war Künstler, dann Gemüsegroßhändler, dann Kunstsammler. Jetzt malt er wieder, und das schaut so aus: Eine junge Frau im Abendkleid steht vor einem Aquarium, in dem Haifische schwimmen; auf einem kleinen Tablett liegen eine Rasierklinge und drei Linien einer undefinierbaren weißen Substanz; ein Mann reißt so weit das Maul auf, dass man daran die menschliche Anatomie studieren könnte. Bilder aus dem wahren Leben also, oder wenigstens so in etwa, aber alles fein gepinselt, als hätte Volkmann nie was anderes getan. Als der Mann anfing, seine unterbrochene Karriere wieder aufzunehmen, widmete er seine ersten Gemälde seinen Erlebnissen in der Paris Bar, nachts, circa 3 Uhr 30. Das prägt. Und macht erfolgreich: Die aktuelle Ausstellung bei Volker Diehl (Zimmerstraße 88–91, bis 14. März) ist nach zwei Wochen praktisch ausverkauft, nur ein großes Bild ist noch zu haben – besagte Frau mit Haifischen (15000 Euro).

* * *

Eine andere Arbeit von Volkmann trägt den Titel „The Hunter in the Minatüre“, und dabei fällt einem unweigerlich der zweite Karriereunterbrecher dieser Woche ein. Im Künstlerhaus Bethanien ist momentan die sehr interessante, von der Berliner freien Kuratorin Christine Heidemann zusammengestellte Ausstellung Jagdsalon zu sehen (Mariannenplatz 2, bis 19. Februar), unter anderen mit Werken von Mark Dion, Tue Greenfort und Julika Gittner. Und eben auch von Nikolaus Bröker , Absolvent der Münchner Kunstakademie, der dem Kunstbetrieb den Rücken drehte und das Sattlerhandwerk erlernte – bevor er nach längerer Pause wieder mit der Malerei begann. Bröker, den die Galerie Kapinos vertritt, ist als Künstler nicht nur ein Wiederkehrer, sondern eine echte Entdeckung. Solche Bilder hat man schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. Bröker malt Menschen, die Jäger sind. Daraus entstehen Zeichnungen (400–600 Euro) und Gemälde (2000–3800 Euro) von wartenden, lauernden, aufmerksamen Wildpflegern und Mordbuben, die so düster sind und so gekonnt zwischen Gut und Böse oszillieren, dass man sie nicht mehr vergisst. In dem Fall war die Lücke im Lebenslauf einmal wirklich hilfreich. Als Sattler gehören Jäger zu Brökers natürlicher Klientel. Dabei hat er sie beobachtet und teilt uns nun die Ergebnisse mit, ob wir wollen oder nicht. Aufregend, schockierend: große Kunst.

Ulrich Clewing

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false