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Kultur: Im Hamsterrad

Arbeit unter höchster Anspannung, in gnadenlosem Tempo, und ohne jeden Sinn. Melanie Gieschen, Jahrgang 1971, beschreibt in ihrem Stück "Die Abzocker", wie Menschen dazu gebraucht werden, nur noch die Zirkulation des Geldes anzuheizen.

Arbeit unter höchster Anspannung, in gnadenlosem Tempo, und ohne jeden Sinn. Melanie Gieschen, Jahrgang 1971, beschreibt in ihrem Stück "Die Abzocker", wie Menschen dazu gebraucht werden, nur noch die Zirkulation des Geldes anzuheizen. Freie Mitarbeiter einer Medienagentur, die für kleine und mittlere Betriebe Anzeigen herstellt und an Zeitschriften verkauft, müssen Profit machen, um jeden Preis, sie rennen wie im Hamsterrad, nur so können sie im wahnwitzigen Kreislauf von Gewinn und Verlust ihre Existenz sichern. Dafür zahlen sie mit ihrer Würde. Sie müssen berechenbar sein, geschmeidig gegenüber jeder Programmierung, die ihnen eingegeben wird. Da bleibt nur noch der ungezähmte Trieb, das schnelle erotische Abenteuer. Auch das Bett wird zur Trainingsstätte für noch schnellere Werbe-Runden, für den Aufstieg in der Agentur-Hierarchie.

Denn Melanie Gieschen will in ihren Szenen von "Gewaltausübung und Ohnmacht ohne eigentliche existenzielle soziale Not" (Programmzettel) auf einen gesellschaftlichen Zustand aufmerksam machen, der Arbeit nicht mehr als eigenständigen Wert begreift. Alltag erschöpft sich im Leerlauf. Schnörkellos ist das aufgeschrieben, präzise und nüchtern, in kurzen Szenen, die sich ineinander verzahnen. Drei Wochen in der Agentur Kronauer ziehen vorüber, atemlos trotz mancher Momente quälenden Innehaltens. Regisseurin Johanna Schall nimmt im theater 89 dieses nervöse Angespanntsein auf, münzt es in eine gespenstische Munterkeit um: wie man Fröhlichkeit, turnerischen Spaß "machen" kann, wie Emotionen auf Abruf künstlich herstellbar sind. In den angedeuteten, gesichtslosen Agenturräumen mit drei hintereinander gestaffelten Ebenen (Bühne und Kostüme: Anne-Kathrin Hendel) herrscht eine sterile Atmosphäre des Gefangenseins. Dass Leben in dieser hellen, luftigen, gnadenlosen Eingrenzung nur als eine hektische Behauptung möglich ist, zeigen die sieben Darsteller, indem sie das Bruchstückhafte der Charaktere in aggressiver Bewegungslust sinnlich aufladen. Die raschen Wechsel der Befindlichkeiten sind anstrengungslos erfasst, ein Seminar über marktorientierten Wettbewerb wird mit ironischer Hingabe durchgespielt. Ein verblüffend bruchloses Ensemblespiel. Auch mit ihrem zweiten dramatischen Text - nach "Gnadenlos" im Juli 2000 - war Melanie Gieschen im theater 89 gut aufgehoben.

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