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Kultur: Im Kinderkleid

Hinter jeder Wand können sie lauern, Kindheitserinnerungen, die uns mitten ins Herz treffen. Ein augenlos starrender Teddy reicht aus, daran zu erinnern, wie die Zeit dahinrast.

Hinter jeder Wand können sie lauern, Kindheitserinnerungen, die uns mitten ins Herz treffen. Ein augenlos starrender Teddy reicht aus, daran zu erinnern, wie die Zeit dahinrast. Die Künstlerin Brigitte Waldach schickt mit ihrer Ausstellung „Sichtung Rot – Injektionen von Wirklichkeit“ in der DNA-Galerie die Schauspielerin Fritzi Haberlandt in Konfrontationstherapie (bis 29. November; Auguststraße 20). Die Aufnahmen, die in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Gerhard Kassner entstanden und nun im Rahmen des „Europäischen Monats der Fotografie“ zu sehen sind, bilden eine Art Vorher/Nachher-Zyklus. Anfangs tastet sich Haberlandt im knappen roten Kinderkleid durch einen fast leeren Dachboden, findet alte Puppen und Plüschtiere und kauert danach verschreckt in der Ecke. Im zweiten Teil trägt sie Erwachsenenkleidung und sieht nun nicht mehr rot, sondern lächelt und hat offenbar in der Kunst – in Form von Gedichtzeilen von Ingeborg Bachmann als Bannsprüche an der Wand – ein Distanzmittel gefunden. Die 1966 geborene Brigitte Waldach zitiert hier aus Filmen vom trivialsten Splatter bis zur Angststarre aus Hitchcocks Psychodusche. Mit dem durch diese Ikonografien aufgerufenen Entsetzen, das erst die Kraft der Dichterworte abschleifen kann, könnte ein böswilliger Betrachter das Bildermärchen auch als banales Plädoyer für Kunsttherapie lesen (Ed. 3, 1000 bis 3000 Euro).

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Gleich gegenüber, in der Galerie Blickensdorff , begibt sich der in Berlin und Lissabon lebende Künstler Noé Sendas auf Identitätssuche. Als „der Untermieter“ stellt er elf Fotocollagen aus, die sich mit dem Selbst- und Fremdbild beschäftigen (bis 8. Dezember, Auguststraße 65). Der 34 Jahre alte Sendas zerschneidet dafür Selbstporträts berühmter Künstler von Dürer bis Warhol. Auf Millimeterpapier mischt er sie neu zusammen, hier die Augen von Rembrandt, dort das Kinn von van Gogh – als suche er das archetypische Künstlergesicht. Oder als bräuchte er ein Ideal- oder Fahndungsbild. Vielleicht will er auch nur den Spiegel zerschlagen, den diese Künstler in ihrer Malerei oder Fotografie suchten (3000 Euro je Collage). Eine Videoinstallation ergänzt die Arbeiten: Der Film zeigt einen Kopf, in dem Sequenzen aus Hitchcocks „The Lodger“ ablaufen, einen Thriller, in dem ein unbekannter Untermieter zu Unrecht verdächtigt wird, ein Massenmörder zu sein. Hektische Schritte, eine tickende Uhr, expressionistisches Licht. Die Nachbarn kommen, dich zu beurteilen, zu verurteilen – Identität kann eine Frage auf Leben und Tod sein (4200 Euro).

Daniel Völzke

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