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Im Pendlerzug. Rachel (Emily Blunt) hat noch eine Rechnung mit der Welt offen.

© Constantin Film

Im Kino: die Bestseller-Verfilmung "Girl on the Train": Rachel und ihr Leidensweg

Letztes Jahr wurde der Roman "Girl on the Train" der unbekannten Paula Hawkins sofort zum Bestseller. Nun kommt der sensible Krimi ins Kino - mit Emily Blunt in der Hauptrolle.

Als historisch „schnellstverkauften Roman für Erwachsene“ rühmt der Verleih die Buchvorlage. Und tatsächlich, „Girl on the Train“, im angelsächsischen Sprachraum knapp „GotT“ gekürzelt, stürmte im Januar 2015 sofort auf Platz 1 der „New York Times“-Bestsellerliste und hielt sich dort oben 14 Wochen lang. Und landete inzwischen weltweit bei einer Auflage von 15 Millionen Exemplaren. Wow!

Wer da nicht, zumindest für einen kurzen Denkfilmriss, in üblichen PromoSprech verfällt, ist offenbar gänzlich unsensibel für Sensationen. Zumal wenn man weiß, dass die Autorin Paula Hawkins vor dem Verfassen ihres ersten Krimis das fiktionale Schreiben eigentlich ganz aufgeben wollte. Fünfzehn Jahre lang hatte Hawkins, geboren in Simbabwe und mit 17 nach London gezogen, zunächst als Wirtschaftsredakteurin bei der „Times“ gearbeitet; dann war ihren vier unter dem Pseudonym Amy Silver veröffentlichten melancholischen Liebesromanen kein sonderlicher Erfolg beschieden. „Du und ich und all die Jahre“ hieß einer der Titel, „Was bleibt, wenn du gehst“ ein anderer – tja, und was bleibt, wenn ich jetzt einfach gar nicht mehr schreibe?

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So ist es nun, zum Glück unzähliger LeserInnen, nicht gekommen. Sondern ein womöglich neuer Rekord – „schnellstgekaufte Literaturvorlage eines Hollywoodfilms“ – dürfte in die Guinness-Bücher einzupflegen sein. Da Dreamworks die Rechte an „GotT“ bereits 2014 erworben hatte, war der erste Drehbuchentwurf von Cressida Wilson schon fertig, bevor das Buch überhaupt erschien. Gedreht wurde dann nahe New York allerdings erst um die Jahreswende 2015/2016, weshalb der Anspruch auf den Titel des „schnellstverfilmten Romans aller Zeiten“ zweifelhaft sein dürfte.

Und der Roman und der Film? Sind eher langsam. Und unspektakulär. Der Roman lässt drei Frauen abwechselnd in Tagebuchauszügen zu Wort kommen: Megan, die mit Scott in offenbar glücklicher Ehe lebt. Anna, die im Nachbarhaus mit Ehemann Tom das gemeinsame Töchterchen Evie großzieht. Und Rachel, Toms Ex-Frau: Hier auch wohnte einst sie, bevor sie, kinderlos geblieben, dem Suff verfiel. Jetzt fährt sie, zwecks Verschleierung ihres Jobverlusts, täglich im Pendlerzug an den Behausungen der glücklichen Ehen und Familien vorbei und wird darüber fast verrückt. Wenn da nicht die trostspendende Wasserplastikflasche wäre, bis zum Hals gestrichen voll mit Gin pur.

Rachel starrt und stakst und stalkt herum

Tate Taylors Verfilmung hält sich ganz an Rachel, die Emily Blunt als anrührend bejammernswerte Frau jenseits der dreißig gibt, fernab von ihrem Ideal: family, sweet family. Rachel haust bei einer Freundin und starrt und stakst und stalkt ansonsten im Leben von Tom (Justin Theroux) und Anna (Rebecca Ferguson) herum. Das wird bald gefährlich: Denn die sexy Nachbarin Megan (Haley Bennett) küsst eines sonnigen Tages nicht ihren Mann, sondern einen Fremden auf dem offenen Balkon ihres Hauses, und Rachel, die „GotT“-Verlassene, hat nichts Eiligeres zu tun, als Megans Mann Scott (Luke Evans) zu informieren und genussvoll seine Eifersucht anzustacheln.

Eine Art Selbstmordkommando, das von sich selber nicht weiß, taumelt da offenkundig immer tiefer in seine düstere Erfüllung hinein, und als Megan spurlos verschwindet, steht Rachel plötzlich so unter Verdacht wie manch andere Leute. Dabei hat alles bloß damit angefangen, dass Rachel vom Zug aus immer wieder hineinspannt in das Leben der Vorstadtnachbarn, voller Wutfantasien gegen eine Harmonie, aus der sie rausgeflogen scheint für immer.

Regisseur Taylor packt reichlich mehr auf den Teller als einst Alfred Hitchcock in „Das Fenster zum Hof“, und noch dazu reicht er das Rezept, auch für Nichtleser des Romans, bald arg deutlich durch. Trotzdem funktioniert’s. Weil da ein Trio unglücklicher, von ganzheitlich groben Männern be- und misshandelter Frauen unsicher unterwegs ist, eines von Konkurrentinnen, die bei näherem Hinfühlen Leidensgenossinnen sind. Und irgendwann ist da eine letzte Kraft für die entscheidende Gegenwehr. Laut inszeniert ist das nicht, abgesehen vor einer grotesken, aus Verzweiflung geborenen Pointe. Sondern sensibel. Und das dürfte der Grund dafür sein, warum „Girl on the Train“ wohl doch nicht zum „ schnellstmeistverkauften Ticketmonster seit Erfindung des Kinos“ avanciert.

Der Film läuft ab Donnerstag in 22 Berliner Kinos.

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