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Naturfreund. Zentaur (Aktan Arym Kubat) trauert den nomadischen Traditionen seines Landes hinterher. Er sucht die Nähe der Pferde.

© Neue Visionen

Im Kino: „Die Flügel der Menschen“: Der Pferdeversteher

Mit Mythen gegen die Identitätskrise: In dem Drama „Die Flügel der Menschen“ kämpft ein kirgisischer Cowboy für eine verlorene Welt.

Von Andreas Busche

Zum Einschlafen erzählt Zentaur seinem kleinen Sohn Geschichten aus der kirgisischen Sagenwelt, von berittenen Kriegern, die über ihre Feinde wie eine Sintflut hinwegfegen, und von Kambar Ata, dem Schutzpatron der Pferde. Zu den Menschen pflegt der schweigsame Außenseiter ein eher distanziertes Verhältnis. Mit seiner taubstummen Frau Maripa kommuniziert Zentaur nur in Zeichensprache, sodass auch der sechsjährige Nurberdi kaum ein Wort spricht. Doch die Kargheit des Kinos von Aktan Arym Kubat ist nicht zuletzt auch der epischen Natur geschuldet, in der die Filme des kirgisischen Regisseurs spielen. Berge dominieren seine Landschaftspanoramen, zwischen denen sich die Menschen als kleine Punkte verlieren. Die Dörfer und Siedlungen liegen so versprengt, dass man die Steppe tagelang durchwandern könnte, ohne einer Menschenseele zu begegnen.

„Die Flügel der Menschen“ feiert dieses Gefühl von Ursprünglichkeit, gleichzeitig ist die malerische Leere der Landschaftstotalen auch erfüllt von einer unterschwelligen Melancholie angesichts eines schleichenden Traditionsverlusts. Zentaur verkörpert den einsamen Kämpfer für eine verlorene Welt, er sucht die Nähe der Pferde, die den Menschen einst Flügel verliehen. Heute dagegen lassen skrupellose Geschäftsmänner wie Sharapat die Wildtiere einfangen und sie anschließend zu Rennpferden dressieren: ein einträgliches Hobby der kirgisischen Oligarchen, allesamt Profiteure der postsowjetischen Politik. Zentaur protestiert gegen diesen Wandel auf seine Weise. Nachts schleicht er sich in die bewachten Stallungen und befreit die Tiere, eine Form von poetischem Aktionismus. Da die Pferde in der Wildnis wieder auftauchen, kann er nicht als Dieb belangt werden.

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Dass Kubat die Hauptrolle selbst übernimmt, hat sicher nicht nur wirtschaftliche Gründe. Auf der Berlinale, wo „Die Flügel der Menschen“ in diesem Jahr seine Premiere hatte, beklagte Kubat den Identitätsverlust seiner Landsleute, traditionell ein Nomadenvolk. Das Paradox dieser Identitätskrise besteht darin, dass die Mobilität der modernen Welt auf Besitzstandswahrung ausgerichtet ist. Zentaur durchbricht dieses Wertesystem, indem er die Rolle des Cowboys übernimmt, der mit und von der Landschaft lebt. Seinen Tagelohn verdient er als Bauarbeiter für den mächtigen Großgrundbesitzer.

Zentaur lebt aber noch für einen anderen Mythos, den er symbolisch mit sich herumschleppt: eine Filmrolle des kirgisischen Filmklassikers „Der rote Apfel“. Sein altes Kino wurde inzwischen in eine Moschee umgewandelt, Zentaur sieht sein Weltbild also gleich von zwei Seiten bedroht: Kapitalisten und Islamisten. Doch Aktan Arym Kubat hält für diese Sehnsucht nach einer intakten Wertegemeinschaft auch nur ein überschaubares Angebot bereit, eben die Flucht in die Mythen. In formaler Hinsicht entspricht diese Beschwörung eines „reinen Kinos“ einem seit einigen Jahren anhaltenden Trend im Weltkino: einem Zwitter aus Realismus und Märchenerzählung. „Die Flügel der Menschen“ findet bei allem Humanismus aber keine Begriffe für das Soziale.

In 8 Berliner Kinos, OmU: Eiszeit, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Moviemento

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