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Szene aus "Die Geschiwster"

© Salzgeber& Co Medien GmbH

Im Kino: "Die Geschwister": Die Ware Liebe

Der Neuköllner Hausverwalter Thies wimmelt jeden ab. Aber was, wenn er sich in einen Miet-Bewerber verliebt? Jan Krügers Film "Die Geschwister" erzählt von der Liebe in den Zeiten des neuen Raubtierkapitalismus.

Die Szene ist nicht zu bremsen – nicht mal um Neukölln hat sie einen Bogen gemacht. Wird immer schwieriger zu wohnen, da. Erst recht ohne Schufa, Bürgschaft und Gehaltsnachweis. Thies (Vladimir Burlakov) weiß das, denn Tag für Tag fordert er all diese Formulare ein. Er arbeitet für eine Immobilienverwaltung und geht dabei durchaus streng vor. Zumindest, bis Bruno (Julius Nitschkoff) und Sonja (Irina Potapenko) auftauchen. Sie geben sich als Geschwister aus, die sie nicht sind, und haben nichts von dem, was es braucht, um in Neukölln eine Wohnung zu mieten. Aber Bruno hat Sex mit Thies – und dann gibt es eben doch eine Wohnung für die beiden, heimlich und mietkostenfrei.

Aber, Vorsicht: „Es gibt nichts umsonst“, sagt Nicht-Schwester Sonja gleich zu Beginn. Und, schwupps, hat sie damit schon mal die Kernthese von „Die Geschwister“ auf den Punkt gebracht. Überhaupt bringt der Film vieles gleich auf den Punkt. Statt Szenen und Dialoge für sich sprechen zu lassen, gibt es die Erklärung stets dazu. „Das interessiert dich nicht wirklich, was?“, fragt beispielsweise eine Kollegin, an Thies gerichtet. Womit sie sagt, dass Thies sich wohl nicht interessiert, nachdem ihm bereits durchaus anzusehen war, dass er sich wohl nicht interessiert. Ein Charakterisierungs-Quickie.

(Fast) alle leben aneinander vorbei

Dabei interessiert sich nicht nur Thies nicht. Niemand in dem Film tut das. Sämtliche Protagonisten leben aneinander vorbei, zumindest meistens, im Alltag. Die große Ausnahme sind die Geschwister, die keine Geschwister sind, aber so aufeinander aufpassen, als wären sie welche. Sie bilden eine Schicksalsgemeinschaft, die eigentlich keinen Platz hat für Thies. Ansonsten jedoch herrscht große Einsamkeit, gemischt mit allerseits großen Problemen.

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Das versammelte Personal wirkt daher mitunter wie eine Gruppe Depressiver, deren medikamentöse Dosis erst noch eingestellt werden muss. Peinsam die zahlreichen Momente, in denen Thies mitleiderregend selbstverloren aus dem Fenster starrt – die Illustration langgezogener Moll-Akkorde. Umso schöner, wenn dann gelegentlich Bewegung aufkommt. Schon verwandelt sich auch die Musik in eine heitere, drängende, meist elektronische. Denn dann sind die Protagonisten frei. Zum Beispiel, wenn die falschen Geschwister und auch Thies mal ihre Elendsmienen ablegen und alkoholbefeuert so was wie Fangen in der Stadt spielen. Oder auch, wenn Thies und Bruno Sex haben, zumindest anfangs. Und auch am Schluss, der hier aber nicht verraten sei.

Dem Bösen ist kaum zu entkommen

Das ist insofern paradox, als Regisseur Jan Krüger viel Zeit darauf verwendet, den Zeigefinger gegen ungute Bewegungen im Neuköllner Immobilien-Markt zu erheben. Ständig poltert jemand gegen die Bürokratie, oder jemand fordert sehr allgemein, dass Flüchtlinge in Deutschland auch ein Zuhause brauchen. Insgesamt scheinen Krüger, auch Drehbuchautor seines Films, und seine Mitautorin Anke Stelling zwei unterschiedliche Formen von Bewegung auszumachen, eine gute und eine schlechte. Schlecht ist Bewegung dann, wenn sie ökonomischen Motiven folgt, denn die Ökonomie ist das, was alle bedrückt.

Die Rolle des Thies dient dabei als recht plakative Vorzeigefigur; im Ergebnis hat er nicht wesentlich mehr zu beweisen, als dass dem Bösen nicht zu entkommen ist. Zwar versucht Thies, sich der Schande seines marktnahen Immobilienverwalterdaseins zu entziehen, indem er keinen eigenen Besitz anhäuft, die kostenlose Geschwisterwohnung organisiert und unentgeltlich für Marcos arbeitet – einen Trödelhändler, der seinerseits fremden Besitz nur durchreicht. Aber raus auf dem System kommt er eben gerade nicht.

Oha, Marx! Alles hat Warencharakter, auch die Liebe

Zumal: Laut Film sind ja auch Sex und Liebe nur Teil eines größeren Handels. Aber das weiß der Zuschauer bereits von Anfang an. Denn da hat’s die Sonja ja schon mal gesagt.

In Berlin in den Kinos fsk am Oranienplatz, Il Kino, Krokodil

Julius Heinrichs

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