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Im Kino: "Finsterworld": Nebel mit Köpfen

Im Film „Finsterworld“ von Frauke Finsterwalder und Christian Kracht verschwimmen die Grenzen zwischen Klamauk und Drama. Es ist ein böses Märchen über ein Deutschland, das von lauter selbstsüchtigen, seltsam vergangenheitsbesessenen Figuren bevölkert wird.

Der Film heißt „Finsterworld“, aber er ist lichtdurchflutet. Er spielt auf Wiesen, die etwas zu saftig aussehen, in einer klinisch sauber aufgeräumten Stadt und auf Autobahnen, die in ihrer Makellosigkeit so wirken, als seien sie extra für die Dreharbeiten gebaut worden. Es sind Kulissen wie aus der „Rama“-Werbung. Unter dem Hochglanz der Bilder tun sich Abgründe auf. Der erste Kinospielfilm der Regisseurin Frauke Finsterwalder, die bislang dokumentarisch gearbeitet hat, ist eine Mischung aus Horrorfilm und Satire, ein böses Märchen über ein Deutschland, das von lauter selbstsüchtigen, seltsam vergangenheitsbesessenen Figuren bevölkert wird. Das Drehbuch hat Finsterwalder mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Christian Kracht, geschrieben, der schon in seinem Debütroman „Faserland“ in einer ähnlichen Mischung aus Faszination und Ekel von einer Reise durch Deutschland erzählt hatte.

„Ich hasse Deutschland!“, ruft Corinna Harfouch, die mit Bernhard Schütz ein altlinkes Hedonistenpaar namens Inga und Georg Sandberg spielt. Deutschland finden sie so spießig und verachtenswert, dass sie ganz schnell weg wollen, nach Paris. Statt zu fliegen, mieten sie ein Leihauto, das aber auf keinen Fall ein „Naziwagen“ sein darf, also weder Mercedes noch Audi oder VW. Sie bekommen einen Cadillac. Dann zoomt die Kamera auf die sich drehende Radnabe – und zu sehen ist: ein Hakenkreuz.

Es gibt – das zeigt „Finsterworld“ ganz ohne Ironie – kein Entrinnen aus der Geschichte. Der Sohn der Sandbergs (Jakub Gierszal), der physiognomisch an den jungen Christian Kracht erinnert, besucht mit seiner Internatsklasse ein Konzentrationslager. „Das haben unsere Großväter gemacht“, sagt ihr Lehrer Nickel (Christoph Bach) am Eingang mit der zynischen Inschrift „Arbeit macht frei“. Der Pädagoge erscheint wie die perfekte Inkarnation des dauerbetroffenen Nie-wieder!-Mahners, eines Typus, den jeder kennt, der in den siebziger oder achtziger Jahren eine deutsche Schule besucht hat.

Eine Schülerin wird in den Ofen eines KZ-Krematoriums gesperrt

Selbstverständlich wollen die Schüler nichts wissen von den Lektionen. „Mein Großvater war im Widerstand“, entgegnet einer, und als der junge Sandberg dann mit einem Freund eine Mitschülerin in einen Verbrennungsofen des KZ-Krematoriums sperrt, wendet sich die Groteske zum Kriminalfall. Verhaftet wird der Lehrer.

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Die Großmutter des Internatsschülers, dargestellt vom wunderbaren Fassbinder-Star Margit Carstensen, ist in ein Altenheim abgeschoben worden, wo sie zusammen mit den anderen Bewohnern den ganzen Tag Heinz-Sielmann-Tierfilme im Fernsehen gucken muss. Einziger Lichtblick: die Besuche des Fußpflegers Claude Petersdorf (Michael Maertens), der an der Tür „Tock, tock“ sagt, anstatt anzuklopfen und sich hingebungsvoll dem Schneiden eingewachsener Nägel und Abhobeln von Hornhaut widmet.

Sirrend macht sich sein elektrisches Schleifgerät ans Werk, in Großaufnahme wirbelt der Hautstaub durchs Bild. Finsterwalder filmt den Fußpfleger mit der gleichen Leidenschaft wie Sielmann seine Eichhörnchen. Aber Claude ist auch ein Poet und gibt melancholische Weisheiten wie „Das Leben ist so kurz, man blinzelt einmal, und es ist vorbei“ von sich. Damit erobert er das Herz der Großmutter, sie zieht bei ihm ein. An dieser Stelle könnte ein Liebesfilm über eine alte Frau und einen jungen Mann in der Art von „Harald und Maude“ beginnen. Doch dann eröffnet Claude seiner Geliebten, dass er ihren „süßen Fußstaub“ gesammelt, in Keksen verbacken und zusammen mit ihr gegessen hat. Angewidert wendet sich die Seniorin von ihm ab.

"Finsterworld" bleibt auf halber Strecke stehen

So geht es immer weiter in diesem Reigen. „Finsterworld“ hat zwölf Hauptfiguren, die allesamt mit überdurchschnittlich guten Schauspielern besetzt sind. Unter anderem treten weiter auf: ein Einsiedler (Johannes Krisch), der sich aus der Zivilisation in eine Waldhütte zurückgezogen hat, und ein Polizist (Ronald Zehrfeld), der in seiner Freizeit im Bärenkostüm mit Wildfremden kuschelt. Seine Freundin heißt Franziska Feldenhoven, eine junge Dokumentarfilmerin, in der unschwer das Alter ego von Frauke Finsterwalder zu erkennen ist.

Sandra Hüller spielt diese Künstlerin, bei der die Ambitionen größer sind als das Talent, mit hinreißendem Trotz. Sie will „tolle Filme wie Haneke und Seidl“ machen, dreht aber Billigdokus für einen Privatsender. Frauke Finsterwalder und Christian Kracht hatten wohl tatsächlich vor, einen ähnlich kalten Blick auf die Welt zu werfen, wie Ulrich Seidl das mit seinem Episodendrama „Hundstage“ tat. Aber „Finsterworld“ bleibt auf halber Strecke zwischen Klamauk und Drama stecken. Die Dialoge rascheln bedeutungsschwanger, den Figuren fehlt jede innere Glaubwürdigkeit. Es gibt einige starke Szenen, doch dieser Film ist vor allem eins: prätentiös. Christian Schröder

„Finsterworld“ startet am Donnerstag im Babylon Kreuzberg, Cinema Paris, Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmtheater am Friedrichshain und in den Hackeschen Höfen.

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