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Harter Junge, weicher Kerl. Peter Kurth als strauchelnder Ex-Boxer.

© Wild Bunch

Im Kino: "Herbert": Das Leben schlägt zu

Was macht ein Mucki-Mann, wenn er plötzlich an ALS erkrankt? "Herbert" mit Peter Kurth ist ein Film über den Knockout eines Helden.

Inkasso ist eine ernstes Geschäft, und wenn Herbert die Spielhalle betritt, versteckt sich der Schuldner im Herrenklo. „Nicht die Finger, nicht die Hand“, bettelt der Mann, nachdem Herbert in dessen Taschen nur ein bisschen Geld finden konnte. Herbert Stamm (Peter Kurth) ist kein Unmensch und er „macht“ – wie es im Berufsjargon heißt – heute nur die Nase. Der Ex-Boxer ist vielleicht nicht mehr der Jüngste, aber mit seinem massigen Körper immer noch eine imposante Erscheinung. Vor dreißig Jahren hat er es bis zum Bezirksmeister gebracht, und ergraute Herren schwärmen noch immer von „Stammi, dem Stolz von Leipzig“.

Eigentlich hätte er Profi werden sollen – aber rüber in den Westen konnte er nicht, und die riesige Tätowierung auf seinem Rücken, die an die berüchtigte Erziehungsanstalt Torgau erinnert, macht deutlich, dass er als DDR-Sportkader nicht opportun war. So hat sich Herbert als Trainer, Türsteher und Schuldeneintreiber buchstäblich durchgeschlagen. Doch was, wenn ihn nun der Körper plötzlich im Stich lässt, sein einziges Kapital? Eines Tages kippt er einfach um: ALS lautet die Diagnose. Wie ein Kopfmensch à la Stephen Hawking mit dieser Krankheit umgeht, ist bekannt. Aber was macht so ein Mucki-Mann, wenn die Muskulatur sukzessive den Dienst verweigert? Angesichts zunehmender Immobilität und des herannahenden Todes versucht Herbert, auf seine Weise Bilanz zu ziehen.

Co-Drehbuchautor Clemens Meyer hat eine Schwäche für harte Jungs

Absolut kitschfrei erzählt Thomas Stuber in „Herbert“ die tragische Geschichte vom körperlichen Verfall eines Mannes, dessen Identität sich aus seinen physischen Kräften speist. Das Drehbuch hat Stuber zusammen mit Clemens Meyer geschrieben, dessen Roman „Als wir träumten“ vor zwei Jahren von Andreas Dresen verfilmt wurde. Meyer hat eine Schwäche für harte Jungs, und es gibt im deutschen Kino derzeit keinen Drehbuchautor, der die Sprache dieser Klientel so gut beherrscht. Die knappen, oftmals grammatisch verkürzten Dialogsätze atmen eine eigene, dicht aus der Wirklichkeit gewonnene Poesie.

Bis in die letzte Reihe der Nebenfiguren hinein tönt da nichts falsch. Das ist umso erstaunlicher, als das deutsche Kino das Subproletariat üblicherweise bis ins grausigste Klischee hinein folklorisiert. Hinzu kommt die unaufdringliche Kameraarbeit von Peter Matjasko, die dem gebrochenen Helden in die dunklen Winkel Leipzigs folgt. Das Herz des Filmes aber ist Peter Kurth. Die physische Präsenz, mit der er den strauchelnden Hünen spielt, wie er im krankheitsbedingten Verfall die Würde und Integrität seiner Figur bewahrt – das ist allemal einen Filmpreis wert.

In den Kinos Kulturbrauerei und Moviemento

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