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Mehrgenerationen-WG. Von links: Billy Crudup, Elle Fanning, Annette Bening, Greta Gerwig und Lucas Jade Zuman.

© Splendid/dpa

Im Kino: "Jahrhundertfrauen": Jetzt reden wir

Damals in Santa Barbara: Mit seinem Film „Jahrhundertfrauen“ würdigt Mike Mills den Feminismus der siebziger Jahre. Und die eigene Mutter.

Frauen auf die Leinwand! Die Sache mit der Quote sieht in den Statistiken des Geena Davis Instituts ganz schön mau aus: Das US-Kino, immer noch das meistgesehene der westlichen Welt, bietet wenig Heldinnen. Und wenns doch, haben sie wenig zu sagen: In den 100 Top-Filmen von 2015 reden die Männer dreimal so viel wie die Frauen. Gut, dass es Ausnahmen gibt, immer wieder, seit Geena Davis mit Susan Sarandon als „Thelma & Louise“ die Macho-Welt aufmischte.

Annette Bening zum Beispiel. In Lisa Cholodenkos Familienkomödie „The Kids Are All Right“ (2010) spielte sie eine lesbische Mutter. Ein ganz normaler amerikanischer Frauenhaushalt im 21. Jahrhundert, mit ganz normalem Alltag, Eifersucht, Zoff, Fremdgängen und Spießergebaren. Oder Greta Gerwig, die in „Maggies Plan“( 2015) per Babywunsch und Selbstbefruchtung ein Woody Allen’sches Beziehungschaos anrichtete, bei dem die Liebe gleich mehrfach Typus und Geschlecht wechselte. Ob homo, hetero, bi oder Patchwork – Feel-Good-Movies können auch anders.

In „Jahrhundertfrauen“ sind sie beide dabei, Bening und Gerwig, quasi als die Ahnen ihrer jüngsten Leinwandfiguren. Wir schreiben das Jahr 1979, Dorothea (Bening) lebt als alleinstehende Mutter mit Sohn Jamie (Lucas Jade Zumann) in einem großen alten Haus in Santa Barbara. Zwei Zimmer hat sie untervermietet, an die Punk-Fotografin Abbie (Gerwig färbte sich ihre Haare eigens mit „Manic Panic“ rot, der Original-Punk-Farbe von damals) und den Althippie William (Billy Crudup, in „Alien: Covenant“ gerade als Space-Kapitän unterwegs, siehe Text links), der so praktische Sachen kann wie Balken renovieren und Autos reparieren, als Lover aber eher suboptimal funktioniert.

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Die dritte Frau im Bunde: das Nachbarsmädchen Julie (Elle Fanning), das gern bei Jamie unter die Bettdecke schlüpft, allerdings rein platonisch. „Freunde“, sagt sie, „können keinen Sex miteinander haben und trotzdem Freunde bleiben.“ Und was machen die drei? Reden, reden, reden, munter drauflos und durcheinander, zwei Drittel des Films, mindestens! Besonders, als Dorothea die anderen bittet, dem pubertierenden Jamie beim Erwachsenwerden zu helfen – was dem gar nicht gefällt.

Drei Frauen, 55, 24 und 17 Jahre alt, aus der Perspektive eines Jungen, der so alt ist wie damals Regisseur Mike Mills. Dazu ein fernes und doch nahes Zeitalter, mit Diskussionen über Feminismus und Gebärmutterhalskrebs, Klitorisstimulation, Menstruationsbeschwerden, Marihuana und die beste Band, sprich: Black Flag oder Talking Heads. Zu gerne würde man mitstreiten in dieser WG, auch wenn das Chaos anheimelnd ausfällt, eben hollywoodesk.

Psychogruppen kamen in Mode, von Aids und dem Internet war noch nicht die Rede

Mike Mills spricht von Abgesang, vom Ende der Unschuld. 1979 war das letzte Jahr von Präsident Carter, der die Konsumgesellschaft geißelte. Schwangerschaftstests gab’s erstmals für den Hausgebrauch, Psychogruppen kamen in Mode, von Aids, Internet oder Klimawandel war noch nicht die Rede. Der Allroundkünstler Mills will seinen Film auch als Hommage an seine Mutter verstanden wissen, die gerne Pilotin geworden wäre, aber die Zeit war dafür nicht reif. In „Beginners“ von 2011 hatte er seinen Vater gewürdigt, der sich mit 75 Jahren als schwul outete.

Elle Fanning spielt Julie, die jüngste der drei "Jahrhhundertfrauen" in Mike Mills' Film.
Elle Fanning spielt Julie, die jüngste der drei "Jahrhhundertfrauen" in Mike Mills' Film.

© Splendid/dpa

Dorothea trägt Birkenstocks, führt Sohnemann per morgendlicher Börsenkurslektüre in den Kapitalismus ein und raucht unentwegt, weil Rauchen in ihrer Jugend noch nicht schädlich war, wie sie meint. Eine einsame, nicht unbedingt lebenstüchtige Vorstadt-Bohème-Matriarchin, die ihren „Mann“ steht, tapfer, verloren, komisch, auf ihre Weise souverän. Bening macht das großartig, gleich zu Beginn, wenn Dorotheas alter Ford Galaxy auf dem Supermarkt-Parkplatz in Flammen aufgeht und sie die Feuerwehrleute kurzerhand zum Essen einlädt. Mama, bist du peinlich. Wer sehnte sich nicht nach so einer Mutter. Christiane Peitz

In 15 Berliner Kinos. OmU: Hackescher Markt, Central; Filmkunst 66, Kino in der Kulturbrauerei, Moviemento, Odeon, Rollberg, OV: Cinestar Sony-Center

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