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Abgestellt bei Papa. Ari (Atli Oskar Fjalarsson) muss sich neu orientieren.

©  Peripher

Im Kino: „Sparrows“: Grell ist das Erwachsenwerden

Die Mutter weg, der Vater distanziert, das Kindheitsdorf fremd: In dem einfühlsamen Coming-of-Age-Film „Sparrows“ von Rúnar Rúnarsson muss sich ein junger Mann neu orientieren.

Es will einfach nicht Nacht werden. Aris (Atli Oskar Fjalarsson) Leben gerät völlig aus den Fugen, weil seine Mutter (Katla Nargret Porgeirsdóttir) entschieden hat, nach Afrika zu reisen. Ihn schickt sie zurück zu seinem Vater Gunnar (Ingvar Eggert Sigurdsson). Der allerdings taugt nicht zum vorbildlichen „Pabbi“: Emotional eher der steinerne Typ, hält er sich allabendlich ans Frustsaufen. Im Dorf seiner Kindheit ist Ari jetzt fremd, nur die Großmutter (Kristbjörg Kjeld) kennt er noch. Und Làra (Rakel Björk Björnsdóttir). Aber die hat jetzt einen Freund, und der schlägt Ari gleich mal zusammen.

Dass es die ganze Zeit hell bleibt, ist lediglich ein Detail in Rúnar Rúnarssons Film „Sparrows“ – und außerdem ganz normal im isländischen Sommer. Trotzdem hat dieses weiße Licht eine ungeheure Wirkung. Es konturiert das Geschehen mit einer Intensität, die bald hyperrealistisch wirkt. Die neue Lebenssituation und die irre Erwachsenenwelt überhaupt: All das steht dem einsamen 16-Jährigen grell vor Augen. Nur einmal kann er sich in schützendes Dunkel zurückziehen, ins Gehäuse eines leeren Öltankers. Und ansatzweise begreifen, was hier gerade alles passiert: der Verlust der Kindheit, ein Vater-Sohn-Drama, das Verlorensein in einem Nirgendwo, in dem Alkoholismus und Depression selbstverständlich dazugehören.

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„Poetischen Realismus“ nennen Regisseur Rúnarsson, Kamerafrau Sophia Olsson und Cutter Jacob Secher Schulsinger die komplexe Machart ihrer Filme. Das Prinzip haben sie gemeinsam entwickelt: ein sparsames Drehbuch, lange Einstellungen, wenige Schnitte. Raum für Improvisation und Stille. Und bloß keine heftigen HD-Kontraste, lieber die Struktur von Analogfilmen. So entfaltet sich die Bildgewalt in „Sparrows“ – wie schon beim Vorgänger „Volcano“ – eher beiläufig, untermalend, aber jede simple Deutbarkeit infrage stellend.

Wenn Ari beim Vater gleich vorn ins Auto steigt, signalisiert das ein neues Selbstverständnis, die Entscheidung nicht mehr Kind zu sein. Vielleicht macht er das, weil er jetzt auf sich allein gestellt ist. Vielleicht aber auch, um Gunnars Ansprüchen zu genügen, der mit seiner „Hey, Kumpel“-Schulterschlag-Begrüßung Männlichkeit einfordert. Vielleicht will Ari aber auch einfach vorn sitzen. Aus dieser Mehrdeutigkeit entwickelt „Sparrows“ seine paradoxe, aber lebensechte Logik: Wenn Ari sich später in die Arme seines Vaters kuschelt, ist er ein bisschen erwachsener geworden. Und wenn er seine Kindheitsliebe belügt, dann betrügt er sie nicht, sondern tut das einzig Wahrhaftige.

Schon Rúnar Rúnarssons Kurzfilme wurden bejubelt, einmal war er für den Oscar nominiert, auf den Festivals in San Sebastián und in São Paulo wurde „Sparrows“ als bester Film ausgezeichnet. Kein Wunder, die Durchdringung von Poesie und Realismus ist subtil, suggestiv, spektakulär: großes Kino.

Acud, fsk und Sputnik (alle OmU)

Carolin Haentjes

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