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Kultur: Im Korallenraum

Nach 12 Jahren veröffentlicht Kate Bush ein neues Album. Und ein Roman huldigt der Pop-Diva

„Na los, spring schon!“ Immer wieder flüstert ihm eine Stimme diesen Satz ins Ohr. Ihm, Leslie Herskovits, dem Model für Herrenunterwäsche und lebenslang deprimierten Kate-Bush-Fan. Genau so oft kann er den Gedanken, es zu tun, zurückweisen. Aber dann sitzt er doch eines Tages an der Dachkante. „Wenn Sie mir versprechen“, ruft er den herbeigeeilten Polizisten zu, „dass Kate Bush innerhalb der nächsten sechs Monate ein neues Album herausbringt, lasse ich mich von Ihnen retten.“

Das ist ein Deal. Wenn auch ein unfairer. Denn der Held in John Mendelssohns Roman „Warten auf Kate“, einer verkappten Star-Biografie, die in Kürze im Rockbuch-Verlag erscheint, weiß ziemlich sicher, dass die exzentrische Musikerin nach zwölf Jahren des Schweigens sich nicht plötzlich erweichen lassen wird. Sie wird ihn wieder enttäuschen, wieder wird man nichts von ihr hören, nicht einmal ein Dementi. Am Ende des kuriosen Ultimatums bringt Kate Bush dann doch ein neues Werk heraus. Aber da ist es schon zu spät. Herskovits hatte es satt, zu warten.

Die meisten, die dieser Tage mit der wundersamen Wiederauferstehung der Kate Bush konfrontiert werden, haben gewiss nicht gewartet. Seit sie 1993 mit „The Red Shoes“ zum letzten Mal von sich Hören ließ, ist sie so vollständig aus dem Pop-Universum verschwunden, dass man schon sehr genau hinhorchen musste, um die verstreuten Lebenszeichen der auf einer Themse-Insel lebenden Künstlerin wahrzunehmen. Von einem Album war dabei immer nur indirekt die Rede. Musiker wie Stuart Elliot und Manu Katche berichteten von Aufnahmesessions, bei denen sie allerdings alleine in Bushs Privatstudio waren. Dass die Frau mit den Rehaugen-Blick vor sieben Jahren einen Sohn namens Albert bekam, erfuhr man nur zufällig. Die Annahme eines Brit Awards für ihr Lebenswerk schlug sie aus, als sie begriff, dass sie bei der TV-Aufzeichnung singen sollte. Für einen Gastauftritt bei ihrem Entdecker und Förderer David Gilmour von Pink Floyd schwebte sie plötzlich leibhaftig auf die Bühne der Royal Festival Hall, um „Comfortably Numb“ zu singen. Und schließlich bekam die 16-jährige Jaclyn Bell unerwartet Post, nachdem sie aus der britischen Casting-Show „Stars In Their Eyes“ ausgeschieden war. Bush hatte dem Nachwuchstalent eine Platinplatte von 1978 und einen zu Tränen rührenden Brief geschickt.

Nun erscheint es also: „Aerial“, immerhin ein Doppelalbum, und beschert der Entschwundenen das Comeback des Jahres. Selbst der Umstand, dass Madonna nächste Woche mit einem Disko-Album an die Anfänge ihrer Karriere anknüpft, gerät über den Jubel beinahe in Vergessenheit, den Bushs Wurf auslöst. Dabei hat Madonna, in all den Jahren, die Bush für eine einzige Platte brauchte, sechs veröffentlicht und ebenso oft ihr gesamtes Image umgestülpt. Aber das zählt plötzlich wenig. Denn die 47-jährige Engländerin bringt mit ihrem monumentalen Werk in Erinnerung, wie artifiziell Popmusik sein kann, ohne unter den ästhetischen Ambitionen einer Weltenheilerin zusammenzubrechen. Gäbe es nicht Björk, dieses andere Elfenwesen, das Bushs Vermächtnis bewahrt hat, wir hätten es total vergessen.

„The wind is whistling“, beschwört Bush gleich zu Beginn jene ephemeren Mächte und Zeichen, denen von jeher ihre Aufmerksamkeit galt. Man tritt durch das anschwellende Donnergrollen von Schlagzeug und Bass in eine rätselhafte Welt, voller mythischer Wesen, Vogelstimmen und versunkener Städte. Trotzdem sind das nicht die Pforten in ein versponnenes New-Age-Refugium. „I think I see you standing outside“, heißt es einmal beim Anblick eines T-Shirts, das zum Trocknen auf einer Wäscheleine hängt. Und wenn Kate Bush in „Mrs. Bartolozzi“ wie ein Mantra die Worte „washing mashine“ flüstert und das Rotieren der Trommel imitiert („slooshy sloshy slooshy sloshy“), dann setzt sich in der Poesie der Nachahmung das irdische Verlangen durch, die Dinge zu beleben. Vor allem die profanen. Eine Ladung schmutziger Kinderwäche wird zum Klangereignis. Ihr Duett mit einem Vogel, dessen Gesang sie in der Tradition des Minimalisten Steve Reich in eine Popmelodie verwandelt, ist akrobatisch und betörend schön.

Die CD gliedert sich in zwei Teile. Im ersten huldigt sie Persönlichkeiten wie Elvis („King Of The Mountain“), ihrem Sohn („Bertie“), den Erfindern der Zahl Pi sowie ihrer verstorbenen Mutter („The Coral Room“), an die sie denken muss, als aus einem zerbrochenen Krug, einem Erbstück, eine Spinne krabbelt. Das sind intime Zwiegespräche. Bush allein am Klavier, zuweilen von Mandolinen begleitet oder auch von sanft wummernden Beats, schlängelt sich durch Songs, die keine Refrains haben, keine Strophen. Einfach nur sind.

Im zweiten Teil folgt dann ein Konzeptwerk, bei dem es offenbar um „Sphären“ geht, also Lebensräume ohne Territorium, um Sprachen ohne Vokabular. Das hat etwas Kammermusikalisches. Doch zum Glück ist Bush weit entfernt von der Überspanntheit, die ihre früheren Höhenflüge manchmal unerträglich machten. Sie setzt ihre unvergleichliche Mädchenstimme gegen eine Stille, nicht, wie einst, gegen den Lärm des Synthesizer-Designs.

Dafür also waren zwölf Jahre nötig? Was hat Bush bloß so lange getrieben, fragt man sich angesichts der vielen sparsam instrumentierten Stücke. „Ich habe an keinem Lied länger als zwei oder drei Stunden geschrieben“, gestand sie dem „Spiegel“. Es sei nur so aufwändig gewesen, sie einzuspielen. Nach ihrer letzten Platte, für die sie nur drei Jahre benötigte, hatte sie bereits über die immer länger werdenden Produktionszeiten gestöhnt. „Lächerlich, oder?“, sagte sie dem „Rolling Stone“. „Es sind doch nur Lieder, keine Kathedralen.“

Nun, ja. Wer die Songs ihres grandiosen Meisterwerks „Hounds of Love“ von 1985 ins Ohr geträufelt bekam und gewiss nie wieder los wurde, fühlte sich von einem sakralen Schmerzraum umschlossen. „Running Up That Hill“ , „Mother Stands For Comfort“, „Cloudbusting“ und „Under Ice“ waren theatralische Minidramen, in denen Synthesizer und Beat-Computer das Leiden erlernten. Nach 16 Jahren Profikarriere und acht Alben war die Frühbegabte „erschöpft“. Und man hatte ein wenig Furcht bei dem Gedanken, dass sie einen irgendwann wieder verführen würde. Nun, da es geschehen ist, sind wir süchtig nach mehr.

Kate Bush, Aerial (EMI). John Mendelssohn, Warten auf Kate, Rockbuch-Verlag, Schlüchtern, 352 Seiten, 24,90 €.

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