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Kultur: Im kreischenden Irrenhaus der närrischen Zeit

FILM

Es gibt Filme, die täuschen eine Handlung nur vor. Sie benötigen die Geschichte, damit das Symbolische der Handlung nicht in der Luft hängt. Der deutsche Filmexpressionismus schuf dafür mit dem „Caligari“, mit „Nosferatu“ berühmte Beispiele. Dieser Ahnenreihe möchte sich nun offenbar der 1969 in Freising geborene Tom Schreiber anschließen. In Köln, an der für Experimentierfreude und Stilbewusstsein bekannten Kunsthochschule für Medien, empfing er 1997 seine Weihen als Regisseur. In Köln geriet Schreiber aber auch jedes Jahr wieder in den Karneval. Es müssen schreckliche Tage für ihn gewesen sein. Der reale Alptraum ließ ihn nicht los, sondern wurde Stoff für Schreibers ersten abendfüllenden Film: „Narren“ .

Wahrscheinlich steht der junge Regisseur selbst hinter seiner Hauptfigur, dem Bauzeichner Roman, der eines Morgens von der Strohpuppe eines Gehenkten vor seinem Fenster erschreckt wird und dem die seltsamen Erlebnisse in der närrischen Zeit dermaßen das Gemüt beschweren, dass er sich am Aschermittwoch selbst eine Schlinge um den Hals legt. Christoph Bach in der Hauptrolle gibt einen naiven Unschuldigen, der weder den Späßen seiner Kollegen noch dem wilden Treiben im rheinischen Tollhaus gewachsen ist.

Verwirrt hält Roman sich an ein junges Mädchen, Stella (Victoria Deutschmann). Doch deren Zuneigung ist nur vorgetäuscht, Romans Kollegen haben für den Liebesdienst gezahlt. Am Morgen darauf ist sie verschwunden und mit ihr Romans Hoffnung, jemandem seine – vermutlich nur eingebildete – Mitschuld am Tod eines jungen Taschendiebes zu beichten. Die Polizei hat dafür jetzt auch keinen Sinn.

Als vertraute Person ist Roman nur seine Großmutter geblieben. Hannelore Lübeck, die schon durch ihre Rolle in Schlöndorffs Böll-Verfilmung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ mit einem Köln-Film in die Geschichte einging, erschafft die grotesk- schöne Charakterstudie einer vereinsamten, gebrechlichen alten Dame, die in ein Eisbärenfell gehüllt einen glücklichen Tod erleidet. Worauf sie der verstörte Enkel mitten durch die tanzenden Narren im Rollstuhl schiebt, damit ihr letzter Wunsch, noch einmal den Rosenmontagszug zu sehen, in Erfüllung gehe. Der gute Mensch allein auf verrückter Flur, die Stadt ein kreischendes Irrenhaus, auf das die Kameramänner Hajo Schomerus und Olaf Hirschberg ihr gut getarntes Objektiv einfach nur zu richten brauchten. Das Symbol einer enthemmten Welt!

Seine imponierende Wirkung entfaltet der Film, ein Berlinale-Beitrag, bei aller Nähe und farblichen Dichte, aber vor allem in der Distanz zum aufschäumendem Frohsinn. Und plötzlich ahnt der Zuschauer hinter dem närrischen Treiben den Totentanz, nicht weil ihn ein bestimmtes Bild direkt an diese mittelalterliche Figuration erinnerte, sondern weil das Buch (Ingo Haeb) und die Dramaturgie in ihm zu denken beginnen. Die Inszenierung zieht die Schlussfolgerungen auf ihn, gibt aber die Symbolebene keineswegs auf, im Gegenteil.

Am Ende versetzt Schreiber dem allegorischen Spiel noch einen letzten, vielleicht überflüssigen Drall: die Großmutter meldet sich aus dem Jenseits per Telefon („Ich bin an sich gut angekommen“). Aber es ist niemand mehr da, ihre Botschaft zu hören (Hackesche Höfe, Neue Kant-Kinos).

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