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Humanist am Pult. Abbado bei einer Probe zu „Fidelio“ in Madrid, 2008. Foto: dpa

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Kultur: Im Licht der Aufklärung

Die Kunst Claudio Abbados, eingefangen in Büchern, auf CDs und Videos – das klingende Vermächtnis eines großen Musikers.

Wie wird jemand in Erinnerung bleiben, der sich im Laufe seiner Karriere so deutlich vom skrupulösen Probierer zum Augenblick-Künstler entwickelt hat wie Claudio Abbado? Für den es am Konzertabend galt, in die Stille hinein Musik aufbranden zu lassen, der sich niemand entziehen konnte? Der dafür schweigsame Proben in Kauf nahm, die auch mal Durststrecken sein konnten?

Es passt zu Abbado, dass es die letztgültige Biografie über ihn nicht gibt. Nicht einmal zu seinem 80. Geburtstag im vergangenen Jahr wagte sich ein Verlag daran, dieses faszinierende Musikerleben mit seinen Wandlungen und Wendungen festzuhalten. Daran wird auch der Rechtsstreit einen späten Anteil haben, der 2001 dem Versuch einer Würdigung unter dem Titel „Die Magie des Zusammenklangs“ den Garaus machte. Abbado wehrte sich erfolgreich gegen zahlreiche Tatsachenbehauptungen in dieser Biografie von Christian Försch. Deren unterschwelliges Bild eines von Raffgier und eiskalter Karriereplanung getriebenen Dirigenten machte das Buch für Abbado- Anhänger ohnehin ungenießbar.

Mit dem Segen des Maestros erschien 2003 der Sammelband mit dem sachlichen Titel „Claudio Abbado, Dirigent“, herausgegeben von Ulrich Eckhardt. Das Beste steht neben den Aufsätzen: die 60 Fotos, die vom jungen Dirigenten erzählen, in Mailand, in London, die den Freund der Intellektuellen zeigen, den Musikbeschwörer am Abend. Antiquarisch ist der Band noch zu bekommen. Wer Abbado selbst lesen möchte, kann das in dem Büchlein „Meine Welt der Musik“ (Knesebeck Verlag). Darin erzählt er, wie er als Musikerkind die Musik lieben lernte und was er bei seinem ersten Scala-Besuch erlebte. Nebenbei erzählt er, wie Instrumente und ein Orchester funktionieren.

Was wird vom langjährigen Chef der Scala und von Karajans Nachfolger in Berlin auf Tonträgern überdauern? Aus seiner frühen Schaffensphase sicher Verdi-Einspielungen und unter ihnen unbedingt „Simon Boccanegra“: ein Werk, dessen erfüllte Stille Abbados Wesen nahestand. Aber auch ein „Macbeth“ mit Piero Cappuccilli gehört zu den fesselnden Dokumenten seiner dramatischen Kunst. Zum Verdi-Jahr sind zahlreiche Scala-Einspielungen Abbados erneut günstig auf dem Markt (zum Beispiel als 6-Opern-Box mit 14 CDs, erschienen bei der Deutschen Grammophon). Zugreifen lohnt, auch bei einem Werk, dessen Wiederentdeckung maßgeblich Verdienst des Scala-Chefs war: Rossinis herrlich knackige „Viaggio a Reims“, zuerst mit Katia Ricciarelli. Später in Berlin sollte die vergnügliche europäische Tour zu einem seiner fulminanten konzertanten Opernerfolge in der Philharmonie werden.

Die Krönung von Abbados Zeit bei den Berliner Philharmonikern ist sicher der gemeinsame Beethoven-Zyklus, der beinahe zeitgleich mit der Einspielung von Barenboim und seiner Staatskapelle erschien. Hier das Licht der Aufklärung, dort die Schatten der Romantik. Der Tagesspiegel schrieb dazu: „Abbado fordert nicht zum stummen Staunen auf, er will erhellen, zum Weiterdenken anregen, Widerspruch provozieren.“

Auch die Symphonien Mahlers, die Abbado zuvor bereits in Chicago, London oder Wien eingespielt hatte, erleben in Berlin ihren interpretatorischen Zenit. Man denke nur an die bewegende Live- aufnahme der Neunten.

Gleich vom Beginn der Begegnung mit den Berlinern zeugt eine Aufnahme von 1967, die noch heute zu den schönsten Abbados zählen darf. Martha Argerich verschlingt Prokofiews Klavierkonzert Nr. 3 und Ravels G-Dur-Konzert, während der Maestro das Orchester mit straffer Hand zum Schwingen bringt (DG).

Der späte Abbado, der weiter Orchester gründete und mit jungen Musikern aus Lateinamerika musizierte, ist gut auf DVD dokumentiert. Einen Überblick gibt die Jubiläumsbox „Claudio Abbado: A life dedicated to Music“ (EuroArts). Sie zeigt auf 8 DVDs, wie der Maestro die Berliner Philharmoniker und die von ihm initiierten Klangkörper Gustav Mahler Jugendorchester, Orchestra Mozart und Lucerne Festival Orchestra leitet. Die Doku „Hearing the Silence“ von Paul Smaczny, der Abbado ein Vierteljahrhundert begleitet hat, runden das Bild eines außergewöhnlich jung gebliebenen Dirigenten. Seine letzte CD-Einspielung erscheint am 14.2.: Mozart-Klavierkonzerte mit Martha Argerich (DG). Ulrich Amling

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