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Kultur: Im Museum brennt noch Licht

Deutschland erlebt einen Gründungsboom neuer Ausstellungshäuser. Dabei können es sich die Kommunen kaum leisten

Ein erstaunliches Phänomen lässt sich derzeit beobachten. Obwohl in den öffentlichen Etats die Löcher klaffen und sich zumal in der Kultur der Sparzwang immer deutlicher bemerkbar macht, erlebt die Bundesrepublik gerade eine Gründungsära neuer Museen. Anfang März wird in Stuttgart das vom Berliner Architekturbüro Hascher und Jehle entworfene Kunstmuseum seiner Bestimmung übergeben. Zwei Monate später folgt das MARTa Herford, ein gewitztes Museum für Möbel, Kunst und Ambiente in der westfälischen Provinz nach den Plänen des amerikanischen Stararchitekten Frank O. Gehry.

Erst kürzlich haben fünf weitere Häuser fast gleichzeitig ihren Einstand gegeben. Unweit von Düsseldorf wurde der Betonkubus des japanischen Stararchitekten Tadao Ando für die Kollektion des Sammlerehepaares Viktor und Marianne Langen übergeben. Die Berlinische Galerie erhielt nach sieben Jahren im Depot endlich ihr eigenes Domizil. Der Kunstsammler und Verlegersohn Frieder Burda durfte in Baden-Baden seinen von Richard Meier entworfenen Neubau übernehmen, und das Leipziger Museum der bildenden Künste bezog seit Kriegsende erstmals ein eigenes Haus.

Erstaunt reibt man sich die Augen. Wie können sich die Kommunen noch solch edle Hüllen leisten? Sie vermögen es kaum, wie sich bei genauerer Betrachtung erweist. Beim Ando-Bau und dem Burda-Museum handelt es sich um private Stiftungen, in Berlin, Leipzig, Stuttgart stammen die Planungen aus früheren Jahren, als noch niemand recht an das Ausmaß der Mittelknappheit glauben wollte. So bringt die aktuelle Gründungseuphorie auch keine neuen Prunkbauten hervor wie einst in den fetten Achtzigerjahren. Die Vorzeigeobjekte von einst, etwa in Stuttgart und Mönchengladbach, wirken heute wie abgewrackt; den architektonischen Aufschneidereien der Postmoderne ist längst die Puste ausgegangen ist. Auch die Erlebnisarchitektur der Neunziger à la Libeskind wie beim Jüdischen Museum in Berlin oder dem Guggenheim-Museum in Bilbao, wo die Kunst an zweiter Stelle rangiert, ist offenbar passé.

Die neuen Häuser geben sich quadratisch-praktisch, schlicht in der Kubatur, ohne größere Extravaganzen. Die Inneneinrichtung verrät allerdings, dass diese Bescheidenheit nicht immer freiwillig ist. Die schlichten Lochdecken der Berlinischen Galerie offenbaren, wie scharf hier von Anfang kalkuliert werden musste. Und das für Wechselausstellungen reservierte, eher dürftig ausgestattete Kellergeschoss des Leipziger Bildermuseums gibt eine Ahnung vom Gezerre um das vom Berliner Architekturbüro Hufnagel, Pütz, Rafaelian ansonsten bestens in Szene gesetzte Erscheinungsbild.

Die Direktoren der jüngst eröffneten Häuser können sich also glücklich schätzen, dass ihre Projekte noch Wirklichkeit wurden. Denn während sich in Stuttgart das neue Kunstmuseum als strahlender Licht-Kubus in die City schiebt, sieht es nebenan für die Alte Staatsgalerie finster aus. Die Renovierung des Hauses liegt auf Eis, da es dem Land an 8 Millionen Euro fehlt. Das Erdgeschoss im Altbau bleibt vorerst geschlossen, so dass nur 20 Prozent der zeitgenössischen Kunst gezeigt werden können. Dieselben Widersprüchlichkeiten sind in München und Köln zu erleben. Einerseits stockt aus Kostengründen der Weiterbau der Münchner Pinakothek der Moderne, und die Graphische Sammlung, eine der weltweit bedeutendsten, besitzt mit ihren 400000 Blättern nur eine provisorische Bleibe. Andererseits wird der benachbarte Bau für die Sammlung Udo und Anette Brandhorst weiter vorangetrieben auf Grund terminlicher Verpflichtungen gegenüber dem Stifterpaar.

In Köln konnte sich Kasper König als neuer Direktor des Museum Ludwig zwar noch festgeschriebene Zuschüsse ausbedingen. Doch den anderen Museen der Stadt wurden in den letzten beiden Jahren die Etats um ein Viertel gekürzt, so dass sie kaum noch handlungsfähig sind. Da müssen Direktoren ihre Dienstreisen aus eigener Tasche zahlen oder Privatsammler selbst ihr Aufbauteam mitbringen. Gleichzeitig ließ das Land zum Jahresende wissen, dass dem 61 Millionen Euro teuren Neubau des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums nichts mehr im Wege steht; Nordrhein-Westfalen übernimmt 24 Millionen. Die Reihe ließe sich fortsetzen – etwa mit den Planspielen in Magdeburg, wo der Verzicht auf eine Kassiererin billiger kommt, als Eintritt zu verlangen.

Museen, zumal Museumseröffnungen bleiben für die Kommunen also attraktiv. Der Standortfaktor Kultur besitzt nach wie vor einen hohen Quotienten. Allein in Kassel will das Land Hessen in den nächsten zehn Jahren 200 Millionen Euro in die Ausstellungshäuser investieren, um auch zwischen den alle fünf Jahre stattfindenden Documentas als einer der bedeutendsten deutschen Kunststandorte zu rangieren. Und das Landesmuseum Mainz soll bis 2009 mit knapp 40 Millionen Euro aufgerüstet werden. Denn nach wie vor gilt: Kultur zahlt sich aus – als Imagefaktor und Einnahmequelle im weiteren Umfeld.

Diese Rechnung machen auch die Betreiber des MARTa Herford auf. Den letzten Bürgermeister hat es im Wahlkampf zwar sein Amt gekostet, dass er sich für den knapp 29 Millionen Euro teuren, extravaganten Neubau engagierte. Doch langsam arrangiert sich die Stadt mit der Avantgardearchitektur. Der in Herfords Schmuddelecke nördlich vom Bahnhof angesiedelte Bau zieht wie schon beim Gehry-Museum in Bilbao die ersten schickeren Läden nach. Mit dem MARTa hat sich die deutsche Möbelindustrie, die zu 75 Prozent in der Region residiert und als Hauptgesellschafter des Museums fungiert, ein exquisites Schaufenster eingerichtet, auch wenn die Ausstellungsstatuten jegliche Interessenvermischung verbieten. Gründungsdirektor Jan Hoet steht mit seiner Person dafür ein. Die Preview-Ausstellung im vergangenen Herbst mit Ensor-Gemälden und zeittypischer Bestuhlung gab allerdings eine Ahnung von der künftigen Gemengelage.

Dem belgischen Ausstellungsmacher ist ein Geschäftsführer an die Seite gestellt, der den 2,5 Millionen Euro-Etat im Auge behalten soll. Das Modell der Doppelspitze macht bundesweit Schule, überall dort, wo Museen in Stiftungen umgewandelt sind, um wendiger agieren können. Im Kunstmuseum Stuttgart muss die neue Direktorin Marion Ackermann in ihrer Doppelfunktion als Geschäftsführerin allerdings den Haushalt ( 4,6 Millionen Euro) selbst verantworten. Um ein anspruchsvolles Programm über den Eröffnungstag hinaus bieten zu können, ist sie wie in Leipzig, Herford und bei der Berlinischen Galerie auf Sponsoren angewiesen. Doch die Kunsthistorikerin gibt sich optimistisch. Sie setzt auf die hohe Identifikation der Stuttgarter mit ihrer städtischen Galerie, wurde doch das Haus bundesweit als einziges Museum ausschließlich mit kommunalen Geldern finanziert.

Armes, reiches Museumsland Deutschland. 6000 Häuser gibt es bundesweit, 600 allein für die Kunst. Die Vorsitzende der Bundestags-Enquetekommission Kultur, Gitta Connemann, prognostiziert jedoch einem Drittel aller Museen das Aus. Auch Lucius Grisebach, Direktor des Neuen Museums Nürnberg und beim Deutschen Museumsbund zuständig für die Kultur- und Kunstmuseen, warnt davor, vor allem die kleineren Häuser zu Tode zu sparen. Die wachsenden Erwartungen seien bei der Mittelknappheit kaum noch zu leisten. Der MoMA-Erfolg hat Maßstäbe gesetzt, der Erfolgsdruck ist noch einmal gewachsen.

Die neuen Häuser bekommen ihn vor der eigenen glanzvollen Kulisse am stärksten zu spüren, spätestens wenn die Besuchermassen nicht mehr strömen. Das Leipziger Museum und die Berlinische Galerie zelebrierten deshalb tagelang ihre Eröffnungsfeierlichkeiten, da ihnen anschließend das Geld für die Werbung fehlt und man sich auf diese Weise beim Publikum nachhaltig in Erinnerung zu halten versucht. Die einbestellten Direktoren müssen sich also schon jetzt nach der Decke strecken, Besucher ködern, Sponsoren jagen. Es wird höchste Zeit, dem Museum als Schauhaus eine neue Chance zu geben – fern aller Showeffekte.

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