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Kultur: Im Park der Geschichte

Die Galerie Nolan Judin gibt mit neun jungen Künstlern Einblick in Afrikas aktuelle Kunstszene.

Zwei tiefschwarze Skulpturen lassen für einen Moment den Atem stocken. Von Weitem sehen sie wie Brustkörbe aus – fein säuberlich von ihren Organen und allem Fleisch befreit. Die Rippen des einen sind groß wie die eines Erwachsenen, die anderen erinnern an das Skelett eines Kindes. Tatsächlich nennt Gerhard Marx sein Objekt von 2013 „Scion (Mother & Child)“. Als Material dienten dem Künstler dünne Äste mit speziell behandelten Enden, wie sie beim Veredeln von Obstbäumen verwendet werden. Marx hat sie wie ein Stecksystem zusammengefügt und das Objekt anschließend in Bronze gegossen. Daneben hängen in der Galerie Nolan Judin auch Zeichnungen des 1976 in Südafrika geborenen Künstlers. Sie zeigen unmissverständlich menschliche Knochen und Schädel. Die Umrisslinien der Motive sind allerdings aus Gräsern und Zweigen gelegt, deren feine Triebe die Gebeine lebendig wirken lassen.

Marx hat lange mit dem ebenfalls aus Südafrika stammenden William Kentridge, Jahrgang 1955, zusammengearbeitet. Wer dessen aufwendige filmische Arbeiten zum Thema Apartheid kennt, der ordnet den jüngeren Künstler sofort ein: Knochen und Schädel stehen nun einmal für Gewalt. Dabei beweisen allein die neun in der Galerie vertretenen Protagonisten einer jungen, afrikanischen Kunstszene, dass hier längst neue Zeiten angebrochen sind.

„Das ist die erste Generation, die sich nicht mehr an den Themen ihrer Väter und Mütter abarbeitet“, sagt Jörg Judin. Der Galerist hat für das aufwendige Projekt nicht bloß wenige verkäufliche Arbeiten und dazu mehrere Leihgaben etwa des documenta-Teilnehmers Kudzanai Chiurai, von Meleko Mokgosi oder Dineo Seshee Bopape zusammengetragen. Sondern mit Storm Janse van Rensburg einen Kurator engagiert, der lange in Kapstadt gearbeitet hat und sich bestens auskennt. Das Ergebnis ist eine Ausstellung vom Format einer institutionellen Schau. Ein Angebot, mit dessen Hilfe man seine eigene Wahrnehmung von „Afrika als einer monolithischen Problemzone“ durch den Westen überprüfen kann, wie es im Text der Ausstellung treffend heißt. Zum Beispiel mithilfe von Athi-Patra Ruga.

Ein junger Künstler, der mit Leichtigkeit Gendergrenzen durchquert und sich nicht scheut, in Pumps und farbgefüllten Luftballons durch ein Viertel von Kapstadt zu stöckeln, in dem man auf künstlerische Interventionen unter Umständen gleich mit einem Schuss reagiert. Für seine Serie „Deadboyz Auto Exotica“ von 2009 hat er Häftlinge fotografiert, die weiße Papiermasken etwa mit dem Konterfei von Michael Jackson tragen. Ein bleiches Gesicht auf einem anonymisierten Körper: Was für ein Patchwork. Eindringlicher lässt sich kaum zeigen, welchen einander sich widersprechenden Einflüssen diese Künstler ausgesetzt sind. Denn auch wenn die Generation der knapp über 30-Jährigen auf jede explizite Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte verzichtet; wenn sie wie Kiluanji Kia Henda in seinen melancholischen Schwarz-Weiß-Fotografien den Einfluss der Portugiesen in Angola höchstens noch in den verkommenden Vergnügungsparks anklingen lassen, ansonsten global vernetzt und vielfach unterwegs sind – das Erbe lässt sich nicht einfach fortwischen. Die Akzente der Auseinandersetzung aber haben sich verschoben.

Dies wird in den Porträts von Georgina Gratrix sichtbar. Die Malerin aus Kapstadt, die momentan in Berlin lebt, setzt sich in ihren Gemälden auch mit der eigenen Familie auseinander. Ihre Eltern zählen zu jener weißen Mittelschicht, die in jedem System verliert, weil sie nicht einflussreich, nicht wohlhabend und nicht smart genug ist, um sich immer wieder anzupassen. Georgina Gratrix schaut ihnen ebenso genau ins Gesicht wie ihrem Freundeskreis, den sie mit breitem, gestischem Farbauftrag wiedergibt. Ihre tiefe Sympathie ist erkennbar, aber auch der analytische Sinn, mit dem die Künstlerin das Abgründige einfängt.

Sie ist in bester Gesellschaft mit Andrew Gilbert, der innerhalb der Ausstellung eine Ausnahme markiert – stammt der 1980 Geborene doch aus dem schottischen Edingburgh und hat noch nie in seinem Leben den afrikanischen Kontinent bereist. Nicht physisch jedenfalls. Mit dem Kopf steckt der in Berlin lebende Künstler tief in der englischen Kolonialhistorie, das beweist sein zeichnerischer Zyklus. Eine Ahnengalerie jener Feinde, gegen die Queen Victoria im südlichen Afrika kämpfen musste. Nicht persönlich, das versteht sich. Diese Arbeit erledigten andere während der blutigen Kapitel von Aufständen und ihrer Niederschlagung. Gilbert scheint von dieser Zeit geradezu besessen und macht sich in einer Installation mit zwei lebensgroßen Puppen sogar zum Opfer einer brutalen Attacke. Was er in seiner künstlerischen Arbeit wiederaufleben lässt, taugt bei den übrigen ausstellenden Künstlern höchstens noch als Subsubtext.

Galerie Nolan Judin, Potsdamer Str. 83; bis 6. 7., Di–Sa 11–18 Uhr

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