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Kultur: Im Samtwams

Das Antrittskonzert von Tugan Sokhiev beim Deutschen Symphonie-Orchester.

Nein, das hatte sie nicht geplant: Tugan Sokhiev die Schau zu stehlen, ausgerechnet bei seinem Antrittskonzert als neuem Chefdirigenten des Deutschen Symphonie-Orchesters! Mittwochmorgen ahnt Sasha Cooke nicht einmal, dass sie am Freitag in der Philharmonie singen wird. Dann aber sagt ihre Kollegin Susan Graham kurzfristig ab. In seiner Not wendet sich das DSO an die junge Amerikanerin, die in Berlin vor zwei Jahren bei der verdienstvollen Konzertreihe „Debüt im Deutschlandradio“ auf sich aufmerksam machte. Sasha Cooke willigt mutig ein – und nutzt ihre Chance.

Schon die drei „Old American Songs“ von Aaron Copland reichen ihr, um den Saal zu erobern, mit ihrer angenehmen, klangfarbenreichen Stimme, als mitfühlende Interpretin, die aus den Liedern kleine, spannende Geschichten macht. Nach den „Cabaret Songs“ von William Bolcom, für die Sasha Cooke genau den richtigen, doppeldeutig kessen Off-Broadway-Tonfall findet, wird sie gefeiert. Für jede der folgenden Nummern von Barber und Gershwin, Weill und Bernstein gibt es langen Einzelapplaus. Weil sie Charme hat, eine tolle, natürliche Bühnenpräsenz – und den Swing, bei klassisch ausgebildeten Opernsängern eine Seltenheit.

Und so schleicht sich an diesem Musikfestabend über den Umweg der krankheitsbedingten Programmänderung dann doch mehr easy listening ein, als Winrich Hopp, der künstlerische Leiter des Festivals, in diesem amerikanischen Herbst eigentlich erlaubt hat. Sokhiev und sein DSO allerdings scheinen ihren Spaß an den dramaturgisch verbotenen Früchten zu haben. Und das Publikum sowieso.

Besonders nach dem missglückten Beginn dieses offiziösen Programms. Die „Pulcinella“-Suite hat Tugan Sokhiev ausgesucht, das erste neoklassische Werk Igor Strawinskys. Für die Ballets Russes „übermalte“ er 1920 Originalkompositionen aus dem 18. Jahrhundert, machte durch mannigfaltige Detaileingriffe nach seiner Art die zeitliche wie ästhetische Distanz deutlich.

Wenn Sokhiev dieses Stück nun so spielen lässt, wie man Anfang des 20. Jahrhunderts Barockmusik liebte, nämlich romantisch verniedlicht, feierlich-festlich, ins klangliche Samtwams geschnürt, dann ist das eine historisierende Drehung zu viel. Man denkt an Porzellanpüppchen und Perückenorchester, aber nicht an den Witz der commedia dell'arte. Wenn das ein Experiment war, so ist es gründlich missglückt; wenn es Sokhievs Blick auf die Alte Musik spiegelt, noch schlimmer. Leider klingt auch das DSO hier, pardon, wirklich grauslig, bräsig und uninspiriert. Gerade dem Zusammenspiel der Bläser fehlt eine vom Dirigenten strukturierte Kommunikation. Nach der Pause aber ist er dann zum Glück wieder da, der geliebte DSO-Klang, silbrig und schlank, schön knackig im Fortissimo, durchhörbar in den leisen Passagen. Sergej Rachmaninows 3. Sinfonie gehört zu den Raritäten des russischen Repertoires, die Tugan Sokhiev dem Berliner Publikum künftig näherbringen will. Und weil er diese Partitur wirklich liebt, kann er ihr klangliche Tiefe geben, spielt das DSO mit spürbarer innerer Beteiligung, erblühen die sentimentalen Kantilenen diesseits der Kitschgrenze, wird der Tutti-Bombast nie allzu aufdringlich.

Eine Augenweide ist Tugan Sokhievs Dirigierstil schon jetzt. Das Orchester liebt ihn dafür, dass er beim greisen Maestro-Macher Ilja Musin gelernt hat, wie man zielgerichtet probt, ohne viele Worte und Hampelei allein mit den Händen kommuniziert.

Um wirklich im hauptstädtischen Club der Spitzenkünstler anzukommen, muss der 34-Jährige nun nur noch beweisen, dass er auch im klassischen Kernrepertoire Substanzielles zu sagen hat. Im kommenden März beispielsweise, wenn er mit dem DSO Brahms’ Vierte interpretieren wird. Oder im Juni bei Schuberts großer C-Dur-Sinfonie. Frederik Hanssen

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