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Kultur: Im Stau

Berliner Philharmoniker mit Bartók und Hans Rott

Das Scherzo hat es in sich. Klingt wie eine Kombination aus dem derben Ländler von Mahlers erster Sinfonie und dem Scherzo von dessen fünfter. Ganz schön dreist, denkt man, diese unnachahmliche Mischung aus Wiener Walzer und Dorffest einfach abzukupfern. Die deformierte Volkstümlichkeit! Die Pizzikato-grundierte Solovioline! Und beim Fugato ziehen die Tanzbären Barockkostüme an.

Das Irritierende an der ersten und einzigen Sinfonie des Mahler-Kommilitonen Hans Rott ist ihr Entstehungsdatum: 1878/80. Der Wiener Komponist, der das Werk als gerade 20-Jähriger vollendete und vier Jahre später in der Nervenheilanstalt starb, war nämlich zuerst da. Wenn einer abgeschrieben hat, dann Gustav Mahler von Rott. Mahlers Erste wurde 1889 uraufgeführt. Es lohnt sich also, den neuerdings der Vergessenheit entrissenen spätromantischen Jüngling mit dem tragischen Schicksal (Brahms-Phobie! Verfolgungswahn!) einmal den Berliner Philharmonikern anzuvertrauen. Aber der estnische Maestro Neeme Järvi nimmt’s auf die allzu leichte Schulter. Eigentlich ein Spezialist für vergessene Werke, dirigiert er Rotts E-Dur-Sinfonie, dieses in den übrigen Sätzen bloß genialische Konglomerat aus Pomp, Poesie und Geschwätzigkeit, mit zuckenden Schultern. Wie präpariert man gelegentlich zauberhafte Passagen zwischen sich stapelnden Tonleitern, heißer Luft und zu vielen Noten heraus? Järvi probiert’s mal betriebsam, mal bräsig, eine Idee hat er nicht.

Ähnlich ging er schon beim dritten Klavierkonzert Béla Bartóks vor, dessen im New Yorker Exil entstandenen Vermächtnis. Während Hélène Grimaud sich am Flügel um prägnante Kontraste zwischen Traumverlorenheit und Metropolenhektik müht, schlägt sich Järvi durch immergleiche kompakte Klangschichten. Ein Mopedfahrer, der cool durch den dicksten Gefühlsstau kurvt. Selbst das Adagio religioso: uninspiriert. (Wieder heute, 20 Uhr.) Christiane Peitz

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