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Kultur: Im Wald der Notenhälse

Mehr Geld, mehr Welt: Die 85. Donaueschinger Musiktage arbeiten an ihrer Popularität

Gretchenfrage: Wie kommt die Welt in die neue Musik? Und umgekehrt natürlich: Wie kommt die neue Musik in die Welt? Letzteres ist leicht zu beantworten: durch kräftiges Hinausposaunen, klar, durch Kompositionsaufträge, Uraufführungen, unverzagte Interpreten und durch Festivals, die wie Treibhäuser funktionieren. Mit dicken Glasscheiben, an denen sich die Welt traditionell die Nase platt drückt (in Donaueschingen seit nunmehr 85 Jahren, Glückwunsch!): Hallo, lieber zeitgenössischer Komponist da drinnen, lebst du nur oder bist du tatsächlich auch lebendig?

Drei Tendenzen, die die jüngere ästhetische Entwicklung im Rahmen der Donaueschinger Musiktage trefflich einkreisen (zumindest seit Armin Köhler dort die Geschicke leitet). Entweder die Musik hat Humor, Biss, Witz und verweigert sich mit einer gewissen Schamlosigkeit dem Diktat des Unerhörten, des noch nie Dagewesenen – dann bot der aktuelle Jahrgang jede Menge Déjà-entendus. Als ratterte die Zeitmaschine gemächlich zurück in Richtung Siebziger-, Sechzigerjahre. Das wiederum gefällt gleich doppelt: Den etlichen Grauhaarigen in den Donaueschinger Turnhallen, die jene Zeit der politisch-musikalischen Manifeste aktiv miterlebt haben und sich vor Sentimentalitäten nicht fürchten. Und den vielen Jungen im Publikum (erstmals nahmen rund 200 Musikstudenten an einem das Festival begleitenden Workshop teil), für die etwa die Uraufführung von Mauricio Kagels halbszenische Farce „Divertimento?“ Gelegenheit zur Ersterheiterung bot: über hysterische Piccolo-Flötistinnen, entnervte Dirigenten (Reinbert de Leeuw) und Heftchen lesende „Tuttischweine“ (des Schönberg Ensembles Amsterdam). Das Ohr ist eben immer dankbar, wenn das Auge sich freut.

Merkwürdig indes, dass jüngeren Komponisten wie Richard Ayres oder Dmitri Kourliandski derlei Reminiszenzen nicht gestattet werden: Sowohl die kunterbunt gewürfelten Eklektizismen in „No. 37b“ als auch die Feuerwehrsirenen und notorischen Kettensägen in „Contra-Relief“ (einer Vertonung von Vladimir Tatlins Monument für die 3. Kommunistische Internationale) ernteten verächtliche Buhs.

Oder aber – zweite Möglichkeit – die Musik arbeitet sich verbissen weiter an sich selbst ab. Pflegt ihre elfenbeinernen Eitelkeiten. Steckt Kopf und Herz und Bauch samt Verstand in den Sand. Dann hat sie wenig Humor, sieht die Welt vor lauter Notenhälsen und Selbstbeschwörungsformeln nicht. Ein Virus, der Altmeister wie Newcomer gleichermaßen befällt: Nicolaus Richter de Vroes „Les cases conjugées“ (gespielt vom Arditti Quartet und dem SWR-Sinfonieorchester unter Arturo Tamayo) erstirbt genauso in kalter Flächigkeit wie das schmerzgrenzenreif am Steg geschrubbte Streichquintett des jungen Norwegers Ole-Henrik Moe („Lenger“) letztlich an seiner Konsequenz erstickt. Und Manfred Stahnkes Violinsinfonie „De Danzbodnlock“ (Barbara Lüneburg mit den SWR-Musikern unter Hans Zender) entfleucht sogleich in derart spiritistisch-verwickelte Klangwelten, dass ihr kaum jemand dorthin zu folgen imstande oder bereit ist. Je komplexer, desto langweiliger?

Oder – dritte, anspruchsvollste Variante – gegen die Musik ist nichts einzuwenden: sinnlich, intelligent gedacht und nie schlechter als, na, zwei minus. Aber reicht das, um einer zunehmend verblödenden, verödenden Wirklichkeit vor Ohren zu führen, dass neue Töne auch ein Stück neue Transzendenz bedeuten können, Seelenstärke, Geisteskraft? Im Einzelfall: durchaus. Wenn die beiden Klarinetten in Adriana Hölszkys „Flugmanöver“ zum gläsernen Liebesspiel ansetzen; wenn Brian Ferneyhoughs „Plötzlichkeit“ harmonisch glühend das ganze Unbehagen des eigenen Tuns mitstenographiert; wenn Wolfgang Rihm es in seinen beiden (Atem-)Studien für Sopran und Streichquartett aufs Ekstatisch-Theatralische abgesehen hat (großartig: Claron McFadden); oder wenn Jörg Widmanns „Zweites Labyrinth“ für Orchestergruppen gleichsam hakenschlagend den Raum durchmisst – als umzingelte die Musik den Menschen, seiner endlich habhaft.

Solches hatte gewiss auch Georg Friedrich Haas im Sinn, dessen Konzert für Lichtstimme und Orchester „Hyperion“ für ein geradezu bombastische Finale sorgte. Mehrere tausend Plastikeimer, von Rosalie in der Baar-Sporthalle mehr oder weniger kreischend illuminiert, darunter martialisch schäumende Klangmassen und ein sich durchs Dunkle tastendes Publikum. Synästhetisch kaum erhellend, aber effektvoll. Was an einem Ort wie diesem sonst so stattfindet, zeigt einen Steinwurf weiter Kirsten Reeses wundersame Installation „Hallenfelder“: Viehmärkte, Karaoke-Shows, Fasnachtssitzungen, Blutspendedienste. Leben in der schwäbischen Provinz. Auch das gehört zum Gedächtnis der Musiktage, die dieses Jahr übrigens mit einem Konzert auf der grünen Wiese eröffneten, für sieben örtliche Blaskapellen. 2010, so hat die Stadt unlängst per Volksentscheid beschlossen, bekommt das Festival den ersten richtigen Konzertsaal seiner Geschichte. Und von der Siemens-Stiftung schon nächstes Jahr mehr Geld.

Christine Lemke-Matwey

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