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Treib- und Triebhaus. Shakespeares Titania (Olivia Graeser) mit Oberon (Ole Lagerpusch). Foto: Eventpress Hoensch

© Eventpress Hoensch

"Sommernachtstraum" am Deutschen Theater: Im Wald der Wünsche

Andreas Kriegenburgs inszeniert Shakespeares„Sommernachtstraum“ am Deutschen Theater. Überzeugend, wie ernst Kriegenburg die Liebe nimmt.

Zu Beginn heißt es warten. „Is’ schon?“, fragt der Schnock von Almut Zilcher. „Ich guck mal. Noch nicht“, gibt Margit Bendokats Flaut zurück. Dann endlich – Pause! Ganz erschöpft vom Kratzen im Schritt lässt sich die Blaumann-Brigade auf der Bank nieder, kramt Stullen, Käffchen und Lektüre hervor und tauscht den jüngsten Promi-Gossip aus der „Gala“: Die Hochzeit von Theseus und Hippolyta steht bevor. Wäre fast eine Doppelvermählung geworden, aber die Trauung zwischen Hermia und Lysander wird vom Brautvater torpediert. Hört, hört.

Ein pointierter, lakonischer Einstieg in diesen „Sommernachtstraum“, zumal die Shakespeare-Handwerker um Squenz (Barbara Heynen), Schnauz (Barbara Schnitzler) und Zettel (Markwart Müller-Elmau) nicht nur die Vorgeschichte trefflich raffen, sondern im ironiegefederten Parlando über die Schriften von Sigmund Freud und Petra Gehring auch gleich den traumtheoretischen Überbau des Wirklichkeits-Verwirrspiels besorgen. Das Malocher-Quintett, das sich zur Aufführung der überaus tragischen Komödie von Pyramus und Thisbe verabredet, beweist Köpfchen, während die Liebenden, vor deren Gesichtern es bald die Scheiben zu putzen beginnt, schon jeden Durchblick verloren haben.

Andreas Kriegenburg inszeniert Shakespeares meistgespieltes Stück am Deutschen Theater. Und freilich fragt man sich zunächst: Muss das sein? Erst vor drei Jahren hat Jürgen Gosch an gleicher Stelle das nämliche Werk zur Aufführung gebracht – es wurde ein triumphaler Liebesgewaltakt. Aber erstens ist es müßig, den Lebenden fortwährend mit den übermächtigen Toten zu winken. Und zweitens findet Kriegenburg nach dem leichthändigen Auftakt zu einer ganz eigenen, kraftvollen Bildsprache – wiewohl er, Gosch durchaus verwandt, eine Lesart wählt, die auf Jan Kotts düster-abgründige „Sommernachtstraum“-Deutung zurückgeht und alle luftige Romantik ausbläst.

Das beginnt schon bei der Besetzung: Der Regisseur lässt die Paare nicht von juvenilen Schwärmern, sondern von lebensversehrten Fortysomethings spielen, was eine schmerzhaftere Fallhöhe aus dem siebten Himmel des Gefühlsüberschwanges schafft. Natali Seelig und Bernd Moss sind die verhinderten Liebenden Hermia und Lysander, Judith Hofmann spielt – mit herausragender Entgrenzungsbereitschaft – die Helena, die von Jörg Poses Demetrius nichts als Zurückweisung und Demütigung erfährt. In einem pflanzenumrankten, gläsernen Treib- und Triebhaus, das Kriegenburg, der Bühnenbildner des Jahres, sich selbst gebaut hat, steigen sie herab in den Wald der Wünsche, wo die Begierden die Ratio überwuchern. Als sehnsüchtig-vereinzelte Gegenwartsmenschen will der Regisseur sie sehen, weswegen er die vier in einer Choreografie sommerlich gewandeter, stumm auf dem Handy herumtippender Statisten der Champagnergesellschaft einführt. Ein starkes Tableau, und nicht das einzige.

Bisweilen hätte man den Paaren mehr Raum gewünscht in dieser Aussegnungshalle der Herzens-Illusionen, sehr gestrafft ist ihr magiegesteuertes Wechselspiel. Dennoch überzeugt, wie ernst Kriegenburg die Liebe nimmt, die bei Shakespeare vor allem Gewalterlebnis ist: Übergriff und Überwältigtsein zugleich. Die Strippenzieher Oberon und Puck (Ole Lagerpusch und Daniel Hoevels) treten als alerte Buben so durchtrieben auf den Plan wie die grausamen Spielwütigen aus Michael Hanekes Film „Funny Games“. Aber wenn sie die junge Elfenkönigin Titania (Olivia Gräser) mit dem alten, zum Esel verzauberten Zettel verkuppeln, beglaubigt Kriegenburg das als surreal-wahrhaftige, an Goyas Malerei erinnernde Leidenschafts-Erschütterung.

Liebe fragt nicht nach Verstand. Sie verstört. Wenn dann am Ende die Schauspieler-Handwerker ihren Schwank „Pyramus und Thisbe“ geben, wirkt das bei aller Heiterkeit auch wie ein Hohn auf die Liebeskomödien, die wir uns zur Beruhigung so gern erzählen.

Wieder am 28. und 30.9., jeweils 20 Uhr

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