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Hello again. George Michael in der 02-World.

© Michael Gottschalk/dapd

Im Wellnesstempel: George Michael auf „Symphonica“-Tour in Berlin

Reflexzonenmassage fürs Trommelfell: In der O2–World übt sich Balladenfanatiker vor pompöser Kulisse als Opernsänger. Ayurveda–Pop für die ganze Familie.

George Michael hat nicht studiert – die akademische Viertelstunde gönnt er sich aber trotzdem. Denn der rote Vorhang, der am Montag in der voll bestuhlten O2-World baumelt, zeigt an: Hier wird heute gehobene Kultur geboten. „Symphonica“ nennt der britische Sänger seine aktuelle Tournee, bei der er sich von einem namenlosen Orchester unbekannter Herkunft begleiten lässt. Startpunkt war die Prager Staatsoper, unter den 63 geplanten Stationen sind weitere traditionsreiche Klassiktempel wie das Pariser Palais Garnier, die Arena di Verona und Covent Garden in London.

In Deutschland dagegen hat sein Management nur Großveranstaltungshallen gebucht. Da wird dann die Bühne eben mit gerafften Draperien zur Opernportal- Karikatur aufgehübscht.

Mit exakt fünfzehn Minuten Verspätung also geht es los: Üppiger Filmmusiksound rauscht auf, hinter den zunächst noch geschlossenen Volants erhebt George Michael seinen prachtvollen Bariton. Dann gleitet der Vorhang beiseite: Wie ein echter Opernstar steht der Sänger umgeben von Geigen, Celli, Oboen, Blechbläsern, kurz dem ganzen sinfonischen Apparat. Sogar eine Harfe ist dabei. Michael trägt schwarze Krawatte und schwarzes Hemd zum dunklen Anzug, sehr stylish, wie gewohnt. Seine Gäste wären an diesem Abend auch mit XXL-Bademantel und Schlappen passend angezogen: Denn die O2-World verwandelt sich jetzt in die größte Spa-Lounge der Welt. Hier gibt es Wellness für die Trommelfelle. Auch mit 48 Jahren besitzt George Michael ja weiterhin eine der schönsten Stimmen im internationalen Showbiz. Und er weiß sie zu benutzen wie ein Masseur seine Hände: zupackend, aber dennoch zärtlich. Schade, dass bei dem extrem weichgezeichneten Sounddesign die Texte weitgehend unverständlich bleiben.

Immer wieder rollt das Privatorchester George Michael flauschige Saunatücher aus, auf denen er von einer langsamen Nummer zur nächsten schreitet. Viele Coverversionen sind dabei, „Russian Roulette“ von Rihanna, „True Faith“ von New Order, außerdem vokale Verbeugungen vor Amy Winehouse, Terence Trent d’Arby und Rufus Wainwright – alles so soft arrangiert, dass man die Vorbilder kaum noch erkennt. Auch seine eigenen Nummern gehen runter wie Body Oil.

Bei so viel Ayurveda-Pop ist man dankbar, wenn es mal smoothjazzig wird, bei „Brother, Can You Spare a Dime“ zum Beispiel, aus dem 1999er Album „Songs from the Last Century“. Wie viel Prügel hat er, der Dancefloor-Gigant, damals für diese Evergreen-CD einstecken müssen! Jetzt macht er den All-inclusive-Sound zu seinem künstlerischen Credo, schlendert lässig Richtung Las Vegas, ein kommender Crooner. Nur wenn er, sonnenbebrillt, auf der rückwärtigen Projektionsfläche erscheint, muss man irgendwie doch an Andrea Bocelli denken.

Nach der Pause geht es konsequent weiter mit dem Balladen-Reigen. Meine Arme werden gaaanz schwer ..., meine Beine werden gaaanz schwer ... – ist das jetzt Tiefenentspannung oder Langeweile? Die 11 000 Menschen in der Halle, das kann man spüren, brauchen nach zwei Stunden Sentimentaltreatment dringend noch ein Kehle-Hände-Workout. Sie bekommen „Amazing“, „I’m your Man“ und „Freedom“ im Power-Medley. Ganz hat George Michael die alte Hypnotiseur- Regel also doch nicht verlernt: Weck mich auf, bevor du gehst, gehst. Danke!

Am 15. November kommt George Michael erneut mit „Symphonica“ nach Berlin.

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