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Kultur: Im Wurzelwerk

Boris Groys sammelt Ideen und Essays

Dieser ins Paradox verliebte Autor hat mindestens drei Seiten. In seiner „Einführung in die Anti-Philosophie“ kämpft der Philosoph Boris Groys mit dem Kunsthistoriker – und dieser wiederum mit dem Medienforscher. Das Vorwort ist eine geistreiche Skizze der modernen Philosophie, die keine Kritik mehr sein will, sondern eine Handlungsanweisungen an das passive Publikum. Da versucht Groys noch, diesem aus verstreuten Essays bestehenden Band eine Klammer zu geben – was für die ersten beiden Texte, die wie eine Entfaltung der im Vorwort angedeuteten Ideen wirken, auch funktioniert. Sie sind so packend geschrieben, dass man fast denkt, eine Art „Sophies Welt“ für Erwachsene vor sich zu haben. Einem Essay über Kierkegaard folgt einer über Leo Schestow, den vielleicht originellsten russischen Denker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, für den Kierkegaard zu den wichtigsten Ausgangspunkten gehörte.

Dann wechselt das aus verstreuten Essays bestehende Buch die Richtung: Heidegger, Derrida und Benjamin werden vor allem vom Kunsthistoriker Groys betrachtet. Der Aufsatz über Theodor Lessing, der 1984 bei Matthes und Seitz als Vorwort zu Lessings Band erschien, ist vielleicht noch interessanter als Lessing selbst: eine scharfsichtige Geschichte des europäischen Antisemitismus. Nicht weniger spannend sind die Essays, in denen Groys verschiedene Seiten der russischen Philosophie der vorigen Jahrhundertwende behandelt. Etwa die Wurzeln einiger Ideen und Bilder der französischen Zuhörer in den Vorlesungen des Pariser Hegel-Spezialisten Alexandre Kojéve: Zu ihnen gehörten Jacques Lacan, Georges Bataille und André Breton. Da spürt Groys der Geschichte nach, wie Nietzsche, der die Autoren der sogenannten „russischen religiösen Renaissance“ zu Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts stark beeinflusst hatte, später russisch gefärbt über den russischen Exilanten und in Deutschland ausgebildeten Koschewnikow-Kojéve nach Westen reimportiert wurde. Am Schluss wechselt dieses ebenso anregende wie disparate Buch wieder ins kunstkritische Fach und erfreut mit überraschenden Ideen wie den blitzschnell hergestellten Zusammenhängen zwischen Gotthold Ephraim Lessing, Clement Greenberg und Marshall McLuhan. Olga Martynova

Boris Groys:

Einführung in die Anti-Philosophie.

Hanser Verlag,

München 2010.

290 Seiten, 21,50 €.

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