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Kultur: Immer diese Männer

Der amerikanische Schriftsteller David Vann schildert in „Dreck“ ein Familiendesaster.

Nicht nach Alaska, sondern ins staubige, sonnengedörrte Kalifornien führt der Weg im dritten Roman des amerikanischen Autors David Vann. Aber die Landschaft bleibt unwirtlich, menschenfeindlich, und das seelische Betriebsklima ist eher noch um ein paar Grad gesunken. Und das will etwas heißen: „Im Schatten des Vaters“ und „Die Unermesslichkeit“ waren mit kalter Pracht angerichtete Schreckensszenarien des Familienunfriedens. Menschen, durch Ehe und Verwandtschaft wie mit Ketten zusammengeschmiedet, werden in den Büchern des 1966 geborenen Autors zu Todfeinden. Es sind Romane, die unerbittlich die Schraube drehen und weiterdrehen. Warum so düster? Offenbar sind selbst erlittene Familiendramen der Nährboden von Vanns Welt: Als er 13 war, beging sein Vater Selbstmord, einer von vielen gewaltsamen Toden in seinem Umfeld.

„Männer waren das Problem“, heißt es denn auch an einer Stelle von „Dreck“ – Männer und ihre fatale Neigung zu Alkohol, Gewalt und Schusswaffen. Die Sorge, David Vann könnte sich einem opportunen Feminismus angeschlossen haben, zerstreut sich allerdings bei Lektüre dieses Romans. Von den Schumachers, einer isländisch-deutschen Einwanderersippe, die ihre Existenz auf eine Walnussplantage im Sacramento Valley gründete, sind nur die Frauen übrig geblieben, von der Hauptfigur Galen abgesehen. Der 22-Jährige, der unter der sanften Fuchtel seiner Mutter Suzie-Q steht, ist die arme Sau in einem schwer erträglichen Matriarchat. Galen möchte weg, um zu studieren, er würde gern nach Europa reisen – aber stets heißt es, das Geld reiche gerade hin, um der dementen Großmutter den Platz im Altersheim zu bezahlen.

Bald aber stellt sich heraus, dass seine Mutter über viel mehr Geld verfügt, als er je wissen sollte: Sie verwaltet das ererbte Familienvermögen, zum Ärger ihrer Schwester Helen, einer bissigen Person, die sich seit je benachteiligt gegenüber Suzie-Q fühlt. Dann gibt es noch Helens Tochter, die 17-jährige Jennifer, die ihre Attraktivität zu sadistischen Machtspielen nutzt. Sie treibt Galen zur Raserei mit ihren sexuellen Provokationen. Bisher musste er sich mit dem „Hustler“ begnügen; auf der Walnussfarm gibt es für ihn keine anderen Gelegenheiten für Triebabfuhr, von Liebe zu schweigen. Die drastischen Sexszenen mit der Cousine unterscheiden sich von Pornografie durch die atemberaubende Mischung aus unerlöster Begierde, rasendem Glück und nackter Feindseligkeit.

Galen ist ein unangenehmer Charakter, in seiner pathetischen Zerrissenheit und seinem unverschuldeten Leidensfuror aber auch eine Figur, der man das Mitgefühl nicht versagen kann. Vergeblich versucht er die Bedürftigkeit seines Leibes zu transzendieren, durch kuriosen Asketismus und ziemlich unappetitliche Ernährungsgewohnheiten.

Sein Hirn ist ein einziger Achtziger-Jahre-Esoterikladen, sein Verlangen nach Erlösung zum einen gut begründet in der verfahrenen Lebenssituation, zum anderen befeuert von Lektüren wie Khalil Gibrans „Prophet“, Hesses „Siddharta“ und indischen Heilslehren. Nachts wandelt er in der Plantage herum, versucht die Energie der Erde in seine Fußsohlen sickern zu lassen und seinen Körper zur Stimmgabel zu machen. „Er versuchte sich zu fühlen wie eine zwischen Erde und Mond gespannte Hängematte." Vergeblich, wie seine Versuche, über glühende Kohlen zu laufen oder über Wasser zu wandeln. Erst am fürchterlichen Ende bekommt Galen seine Ekstase.

Nachdem Vann der Familienverstrickung in geduldiger Knüpfarbeit einen Knoten nach dem anderen hinzugefügt hat, nachdem er in zunehmend böswilligen Dialogszenen den Druck langsam steigen ließ, kommt es in der Mitte des Romans zur Explosion. Die Mutter hat Galen beim Sex mit der minderjährigen Cousine beobachtet. Sie will ihn nun buchstäblich aus dem Verkehr ziehen. Sie will die Polizei einschalten, will, dass der eigentlich so geliebte, aber leider auch so teuflische Sohn den verdienten Platz in der Gefängniszelle bekomme: eine fulminante Verstoßungsszene wie in Kafkas „Urteil“. Wie sich hier ein Familiendesaster aufschaukelt zur Tragödie von antikem Format, wie Galens Wut über die „irre“ Mutter wächst und dadurch deren Angst immer nur weiter bestätigt und schürt, das macht Vann, diesem Spezialisten für Hassliebe, niemand nach.

Seine Bücher haben einen kathartischen Effekt. Jeder kennt Situationen mit seinen Lieben, die das Potenzial zur Entgleisung hätten. Der literarische Gewaltforscher Vann formuliert dergleichen unerbittlich aus, mit dem Effekt, dass sich der bange gemachte Leser schwört, fortan noch besser achtzugeben. Denn eine Rückkehr gibt es nicht. Galen fantasiert sich zwar in eine Urzeit vor den Dinosauriern, Mondentstehungszeit. Aber in Wahrheit kann er die Uhr keine rettende halbe Stunde zurückdrehen, um etwas gut oder zumindest ein bisschen besser zu machen: „Zurück. Das wäre das größte Geschenk.“

Der Begriff „Dirt“ – so der Originaltitel – ist nicht ganz so abwertend wie „Dreck“. Er meint nicht nur den Lebensschmutz und den staubigen Boden der Walnussplantage, wo sich so schwer ein Grab schaufeln lässt. Er ist auch zu verstehen im Sinne der Genesis: „God formed man out of dirt from the ground“, wie es in manchen Bibelübersetzungen statt „dust“ heißt. Solche archaische Symbolik trägt der Roman dick, aber nicht aufdringlich auf. „Dreck“ ist ein intensives Buch, ein in der Reduktion bisweilen an Beckett erinnerndes Endspiel, bei dem durch alle dunkle Fatalität ein Untergrund von Komik schimmert. Zum Beispiel kommen Mutter und Sohn bei jeder ihrer Fahrten zum Altersheim an einer Backfiliale vorbei, und immer sagt Galen dann den einen Satz, den er von seiner geliebten Großmutter übernommen hat: „Die haben den besten Kürbiskuchen.“ Wäre Suzie-Q nur einmal stehen geblieben für einen Kürbiskuchen, vielleicht wäre ihr der Horror im alten Schuppen erspart geblieben. Wolfgang Schneider

David Vann: Dreck. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch v. Miriam Mandelkow.

Suhrkamp Verlag,

Berlin 2013.

298 Seiten, 19,95 €.

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