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Kultur: Immer diese Papenbergs

Thomas Ostermeier verdeutscht „Trauer muss Elektra tragen“ an der Berliner Schaubühne

Es fällt schon auf. Diese Frauen. Immer der gleiche Typ. Sehr, sehr schlank und auf den ersten Blick blutleer, versponnen. Gliederpuppen. Aggressiv, rachsüchtig bis in die Haarspitzen. Immer für einen Mord oder Selbstmord gut. So inszeniert sie Thomas Ostermeier an der Schaubühne in Serie, die Lulus, Noras, Heddas – und jetzt die amerikanischen Furien eines Eugene O’Neill. Katharina Schüttler und Susanne Lothar im Wettstreit, wer die Schlimmste, die Kälteste, die Mörderischste ist, Mutter oder Tochter: Diesmal also sieht man dieses freudlose Ostermeiersche Frauenbild sogar doppelt.

Auch das fällt auf: Schon wieder hat Jan Pappelbaum eine gläserne Villa auf die Bühne gestellt. Immer der gleiche ausgekühlte Raum, der mehr an einen Versuchskaninchenstall als an eine menschliche Behausung erinnert. Auch der Drehbühnenwurm ist wieder drin in dieser Familiengeschichte. Und Popmusik, wenn das Karussell sich bewegt. Love will tear us apart. Als ob man das nicht sehen könnte.

Und es gibt noch etwas im Theater des Schaubühnen-Chefs, worauf man wetten kann: Am Ende landet man immer irgendwie bei Ibsen. Egal was sie spielen, auch wenn sie mal etwas anderes spielen als den alten Norweger. Immer schaut Ibsen heraus. O’Neills „Trauer muss Elektra tragen“ kommt daher wie eine aufgeblasene Version der „Gespenster“, mit einer Ladung „Rosmersholm.“ Aber das ist nicht das Hauptproblem. Denn diese Produktion ist eine Mogelpackung.

Eugene O’Neill schuf die „Elektra“-Trilogie um das Jahr 1930. Eine Neuerfindung der „Orestie“ des Aischylos, in der Zeit der Depression, zwischen den Weltkriegen. Bei O’Neill spielt die Tragödie, kompliziert genug, nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, 1865/66. Nicht so an der Schaubühne: Marius von Mayenburg, der Dramaturg und Hausautor, verlegt den Horror nach Deutschland. Jetzt heißen die Stützen der Gesellschaft Christoph und Ulrike, Ulrich und Christine. Wo sind wir? Irgendwo am Meer. Weil immer, wenn einer dran glauben muss, die Möwen kreischen. Sie fahren nach „Stuttgart“ oder „München“, aber niemand weiß, wo das Glashaus liegt. In welcher Zeit die Papenbergs – klingt schwer deutschnational – leben und sterben.

Heute? In den sechziger oder siebziger Jahren? Papenbergs haben einen industriellen Hintergrund, und ein paar Onkels oder Großväter waren offensichtlich Nazi-Größen. Verfluchte, gesuchte Vergangenheit. Und Ulrike/Elektra? Kann nur eine Anspielung auf Ulrike Meinhof sein. Aber es ist besser, nicht daran zu denken. Es schafft nur Verwirrung. Ostermeier und von Mayenburg bauen sich einen Nazi-Popanz. Sie verraten auch nicht, was Ulrich, das Familienoberhaupt, „da unten“ zu tun hat. In Kolumbien oder im Kosovo. Ist er Politiker oder Militär, bei Nato- oder Uno-Truppen, „da unten“, irgendwo im Süden? Auch das ist nicht wirklich wichtig. Nur wichtigtuerisch.

Das Grauenhafte der Aufführung liegt in diesem Ungefähren – und in der zwanghaften Wiederholung. Katharina Schüttler, eigentlich eine Powerfrau, macht da weiter, wo sie als Hedda Gabler aufgehört hat. Ulrike: das Elend der Welt. Dreieinhalb Stunden lang bleibt sie auf einem nasalen Ton. Tödlich verletzt, mit Schmollmund. Am Ende steht sie vor einem Vaterporträt, den Kopf in Plastikfolie gesteckt. So stirbt sie als Hedda; mit blutverschmiertem Gesicht hinter Glas. Warum darf sie nichts anderes zeigen?

Susanne Lothar, Mutter Christine, wirft sich in heftige Exaltationen. Der Gatte steht vor der Tür, und der Geliebte wartet. Sie will noch was vom Leben, und man will es ihr glauben. Sie hat eine andere Präsenz als die jüngeren Schaubühnen-Frauen; und man erinnert sich vielleicht an ihre epochale Lulu, die sie einst bei Peter Zadek spielte.

Es schmerzt, wenn Susanne Lothar sich entblößt. Bei ihr ist es nicht diese Jetzt-lassen-wir-die-Hose-runter-Attitüde. Man ahnt von fern: Hier war einmal eine Klytämnestra im Spiel. Nur sind die Zielvorgaben von Regie und Text immer so verdammt genau und kurzatmig, wie bei einer Telenovela. Der Alte muss sterben, da ist er auch schon vergiftet. „Gott hab ihn selig“, sagt die Gattin. Oder: „Im Moment ist die Stimmung bei uns leider nicht so super.“ Kann man so sagen.

Thomas Thieme, massig, herb, ein Brummbär. Genau so hat man ihn sich vorgestellt, den Ulrich. Ein brutaler, hilfloser, selbstmitleidiger Kerl. Wie die Männer immer sind bei Ostermeier. Nie anders. Auch Christoph nicht, der Sohn. Nachher in SS-Uniform, wenn er total verrückt geworden ist. Rafael Stachowiak tappt schon mit weit aufgerissenen Augen ins Haus. Klare Ansage, bei jeder dieser Figuren. Jeder hat ein furchtbares Geheimnis, eine Leiche auf dem Präsentierteller. Und jeder trägt es im Gesicht: Seht her, gleich dreh ich durch. Jetzt bring ich dich um. Ich will mit dir schlafen. Ach nein, ich kann dich nicht heiraten. – Sätze, aber kein Stück. Namen, aber keine Menschen. Christoph! Ulrike! Georg! (Georg ist Christines Liebhaber, auch er bald hin: Axel Wandtke als völlig unbeteiligtes Opfer, hört der überhaupt zu?) Oft wirkt es nur noch unfreiwillig komisch.

Ulrike wird ihrer Mutter immer ähnlicher. Ulrike bleibt allein zurück, im Haus des Todes. Auch das geschieht gleichsam mit riesigen Hinweisschildern: Achtung, jetzt kommt die Tochter, geschminkt, leicht bekleidet, das spitting image von Mama. Selten hat man eine so ungeschickte, hölzerne, sich selbst immerzu verratende Aufführung gesehen.

Es hat durchaus etwas Gutes. Immerhin begreift man, dass die nun auch vom „Spiegel“ aufgenommene Debatte über Schmuddel- und Regietheater selbst nur eine fahle Inszenierung falscher Gegensätze ist. Denn an der Schaubühne erleben wir den wohl ernst gemeinten, aber vollständig missglückten Versuch, mit Schauspielern und Rollen zu arbeiten und sich mit einem Text auseinander zu setzen. Eben das, was die Spiralblockfreunde fordern. Sex und Körperschmiere halten sich in Grenzen bei Ostermeier. Er hat seinen O’Neill nur ein bisschen gemordet. Das ist das Ärgste.

Wieder heute, morgen und vom 11. bis 14. März.

Rüdiger Schaper

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