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Kultur: Immer mit der Unruhe

Ulrich Khuon, künftiger Chef des Deutschen Theaters, über Autos, Ensembles und das Berliner Klima

Herr Khuon, Ihr Arbeitszimmer im Thalia Theater wirkt unglaublich aufgeräumt. Haben Sie etwa schon für Berlin gepackt?

Nein, es ist heute eher unaufgeräumt. Früher, bei Jürgen Flimm, sah es hier noch viel ordentlicher aus. Ich brauche Raum und Helligkeit um mich herum. Was man drei Jahre nicht mehr in die Hand genommen hat, das hat auch keinen tieferen Sinn mehr unter irgendwelchen Papierbergen. Es gibt andere Charaktere, die immer genau wissen, wo in ihrem Chaos was liegt. Das schaffe ich nicht.

Bei Frank Castorf im Intendantenzimmer ist es erstaunlicherweise auch sehr ordentlich, so wie bei Frank Baumbauer. Der hat einmal gesagt, er müsse morgens als Erster im Theater sein, um die Dinge in Ruhe auf sich zukommen zu lassen.

Ich fühle mich in mancherlei Hinsicht Frank Baumbauer sehr verwandt. Es geht darum, schneller zu sein als die Probleme, damit sie einen nicht erschlagen.

Theater wie das Thalia oder das Deutsche Theater sind mittelständische Betriebe mit rund 300 Mitarbeitern. Mit welchen Jobs in der Wirtschaft lassen sich Intendanten vergleichen?

Im Grunde sind wir Entwicklungschefs. Wie in der Autoindustrie oder im Sport.

Was für eine Automarke wäre das Thalia Theater?

Vielleicht ein Porsche. Klein, beweglich, innovativ, mit hoch qualifizierten Mitarbeitern. Wir haben eine intensive Modellpolitik. Wir wollen als Stadttheater auch ankommen und viele Schichten der Bevölkerung erreichen, das ist gewissermaßen unser VW-Anteil.

Bleiben wir bei den Automarken. Was ist das Hamburger Schauspielhaus?

Wahrscheinlich General Motors.

Und was fährt man am Deutschen Theater Berlin, das Sie 2009 übernehmen?

Vielleicht BMW. Jedenfalls ist Theater nicht das, was man oft hört. Die deutschen Bühnen sind keine durch Tarifvereinbarungen völlig unbeweglich gewordenen Steinzeitgebilde. Außer an Heiligabend arbeiten wir täglich, kein Mensch hindert uns daran, zum Beispiel auch sonntags Doppelvorstellungen zu spielen.

Welche Theatererlebnisse haben Sie geprägt?

Das war vor allem die Ära Düggelin in Basel, wo Hermann Beil schon Dramaturg war. Der junge Hans Hollmann hat da sensationelle Inszenierungen gemacht. Und dann war es die Zeit am Schauspiel Frankfurt in den siebziger Jahren, mit dem surrealen Bilderentwerfer Hans Neuenfels, dem Improvisationsmeister Augusto Fernandes und natürlich dem formstrengen Peter Palitzsch. Das ist, wenn Sie wollen, mein Ideal von Theater: verschiedene starke Handschriften nebeneinander, ästhetisch ungeheuer vielfältig, aber nie beliebig. Dazu gehört ein aufblühendes Ensemble.

In Konstanz, in Hannover, in Hamburg, Ihren bisherigen Wirkungsstätten, gibt es nur ein oder zwei Theater – eben Stadttheater. Das sieht in Berlin etwas anders aus. In der Hauptstadt konkurriert ein halbes Dutzend großer Häuser.

Sicher. Aber die anderen Berliner Häuser sind doch sehr stark definiert. Die Volksbühne ist radikal auf Castorf zugeschnitten, und dann gibt es noch René Pollesch. Die Schaubühne mit Thomas Ostermeiers heftigem psychologisch-realistischem Angang hat mit dem Deutschen Theater wenig Berührungspunkte.

Sie haben Armin Petras nicht erwähnt, den Intendanten des Maxim Gorki Theaters. Petras ist im Grunde erst bei Ihnen am Thalia Theater groß herausgekommen.

Es ist einerseits schade, dass wir dann nicht mehr so zusammenarbeiten können wie bisher, andererseits ist es schön für ihn, ein eigenes Haus zu haben. Vielleicht gibt es ja andere Möglichkeiten der Kooperation. Ich finde es nicht gut, wenn die Regisseure in einer Stadt von einem Haus zum anderen hin- und herwandern. Vermischung ist schlecht. Konkurrenz betrachte ich grundsätzlich nicht als Problem. Wenn man selber gut ist, schadet es einem überhaupt nichts, wenn auch die anderen gut sind.

Bei der Aufzählung der Berliner Bühnen haben wir Ihren nächsten Nachbarn vergessen, Claus Peymanns Berliner Ensemble.

Meine Peymann-Bewunderung ist historisch gewachsen, in Stuttgart, Bochum, Wien. Nun definiert er das BE doch sehr stark über seine eigenen Regiearbeiten, und Regisseure wie Michael Thalheimer, Andreas Kriegenburg und Stephan Kimmig, die bei mir arbeiten, unterscheiden sich davon sehr. Bei Peymann weiß man, was man hat. Bei uns gibt es sehr unterschiedliche Regiehandschriften, die Zuschauer müssen sich ständig auf etwas anderes einstellen. Wir sagen dem Publikum: Bleibt neugierig und lasst euch überraschen! Wobei natürlich auch wir nicht jeden Abend das Theater neu erfinden.

Bei Ihrer Vorstellung in Berlin sagten Sie, das Theater sei von Vorurteilen umstellt. Was heißt das?

Man kennt doch diese Behauptungen: Im Theater arbeiten lauter vom Staat finanzierte Künstler, die sich autistisch um sich selbst drehen, die Stücke zerstören und keinen Bezug zum Publikum haben.

In dieser Richtung hat sich auch einmal Bundespräsident Horst Köhler geäußert, von wegen Werktreue im Theater.

Ja, es gibt diese Stimmung. Und sie wird formuliert: streng, flach, eng. Da kommt Herr Lottmann vom „Spiegel“, schaut sich Jürgen Goschs „Macbeth“ an, mit den nackten Schauspielern, was er vorher schon weiß, und dann geht er raus und schreit: Die sind ja nackt im Theater! Das ist das deutsche Stadttheater! Es gibt Leute, die gehen nicht ins Theater, lesen aber Stadelmaier in der „FAZ“ und denken, das Thalia macht nur Blut- und Hodentheater. Es werden eben mehr Meinungen als Kenntnisse produziert.

Liegt in dieser Stimmung, die einen gewissen Überdruss ausdrückt, nicht auch etwas Wahres?

Meine ersten Theatererfahrungen machte ich in den sechziger Jahren. Das war eher konventionelles Theater und hat mich oft gelangweilt. Ich denke aber nicht, dass man Texte auflösen muss, damit die Aufführung gut wird. Es gibt diese Wellenbewegungen. In den letzten Jahren und Jahrzehnten des Regietheaters haben wir vieles ausgereizt und viel Epigonentum gesehen. Jetzt gibt es verstärkt eine Tendenz, auf Texte zuzugehen.

Vorwiegend auf Klassiker, wie am DT. Die Vielfalt, von der Sie sprechen, sieht man bei Regisseuren und Schauspielern, aber weniger bei zeitgenössischen Dramatikern. Woran fehlt es da?

Das war immer so. Man probiert Stücke aus, und manche verschwinden dann wieder. Aber einige Autoren, die mich interessieren, wie Elfriede Jelinek, Lukas Bärfuss, Fritz Kater, Dea Loher wird man noch in vielen Jahren spielen, man spielt sie übrigens überall in Europa und darüber hinaus. In Sao Paulo hat Dea Lohers „Das Leben auf der Praca Roosevelt“ eine kommunalpolitische Revolte bewirkt.

Aber nicht in Berlin.

Dann ist ja gut, dass wir kommen. Noch einmal zu den Klassikern: Es gibt viele Zuschauer, die wollen in ihrem Leben nicht „Ödipus“ mehrfach auf dieselbe Weise inszeniert sehen, sondern sie wollen herausgeschält wissen, was an diesen Texten heute brisant ist. Das war auch schon bei Max Reinhardt und Fritz Kortner so – Skandale, neue Deutungshorizonte, gesellschaftliches Unruhepotenzial.

Die Entscheidung für das Deutsche Theater Berlin, so haben Sie gesagt, sei die riskanteste, die sie hätten treffen können. Nun kommen Sie in gut zwei Jahren an ein Haus, das sehr gut dasteht. Wo liegt das Risiko?

Sie haben recht, ich komme an ein wunderbar bestelltes Haus, und das kann eben auch ein Problem sein. Das ist eine persönliche Herausforderung. Ich komme in eine Stadt mit vielen interessanten Theatern, in eine Stadt mit einem rauen öffentlichen Klima.

Sie kommen mit Leuten aus Hamburg, die schon längst am Deutschen Theater Berlin arbeiten. Die beiden Häuser verbindet eine enge Beziehung. Was bringen Sie denn Neues?

Es kann nicht nur um eine Fortsetzung gehen. Wir müssen neue Konstellationen schaffen: Was man aufgibt, was man weitermacht. Bloß keine Gemütlichkeit!

Wir sprachen am Anfang von Autos – und im Grunde doch immer über Menschen. Der Theaterintendant, wenn man Ihnen so zuhört, ist eher ein Psychologe.

Deswegen habe ich auch den Sport erwähnt. Auch bei uns passiert alles öffentlich, die Entdeckung von Talenten, das Zusammenspiel über Jahre, mit Erfolgen und Niederlagen. Man muss, hier wie dort, kleine Teams bilden, die Lust auf den Regisseur, Lust aufeinander haben. Man braucht eine Gemeinschaftsenergie, und die kann ich nicht allein stiften. Und: Berlin ist Schaufenster und Experimentierfeld zugleich. Viele Fehler werden einem hier in Berlin nicht verziehen.

– Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

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