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Kultur: In 70 Jahren um die Welt

Heute läuft in Mexiko der letzte VW-Käfer vom Band. Damit endet eine runde Sache. Und es bleibt der Mythos

Es war wohl ums Jahr 1970, als die Firma Volkswagen in amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften zur Revolution der Werbung beitrug. Damals schaltete VW eine Serie von Anzeigen, auf denen nichts als ein Hühnerei abgebildet war. Ein Ei – und der Satz: „Es gibt Dinge, die man einfach nicht verbessern kann.“

Denkste. Trotzdem war diese lakonische Werbung für den VW-Käfer genial. Und kühn, weil sie ausgerechnet im Land des vermeintlich unbegrenzten Fortschritts eine Grenze des erfinderischen Wachstums und ein Stück industrieller Ewigkeit beschwor. Freilich konnte man sich damals, als schon über zehn Millionen Käfer durch die ganze Welt liefen, auch kaum vorstellen, dass es dieses eiförmig eizellige Wesen auf vier Rädern irgendwann auf unseren Straßen nicht mehr geben könnte. War es doch ein nicht nur preiswertes, sondern völlig unverwechselbares Auto. Daran änderten auch gewisse optische Anleihen des Fiat Cinquecento oder der Ente von Citroen nichts. In Zeiten chromblitzender Kühlergrills mit ihren Galionsfiguren und Stern-Zeichen oder angesichts mächtiger Heckflossen und vom Kasten zur halbeckigen Stromlinienform tendierender Designs blieb der Volkswagen immer eine schlichte, runde Sache.

Ab heute soll es damit nun endgültig vorbei sein. Denn im mexikanischen Puebla, wohin VW seine für Europa längst gestoppte Käfer-Produktion schon vor Jahren verlagert hatte, läuft jetzt der letzte Käfer vom Band. In Zukunft soll es nur noch den „New Beetle“, ein aufgemotztes Zitat, aber kein Original mehr geben. Zwar wird das Stadtbild von Mexico City bis auf weiteres von tausenden grünweißen Käfer-Taxis beherrscht sein, wie Indiens Großstädte von schwarzen, verbeulten englischen Taxi-Oldtimern oder Nordafrika von ansonsten ausgestorbenen Peugeot-Modellen. Dennoch markiert der Käfertod ab Werk eine beispiellose Zäsur.

Fuhr man in den Fünfzigern, das ist meine Kindheitserinnerung, hinter einem VW her, dann war er tatsächlich das erste Auto mit „menschlichem Gesicht“: Das damals noch geteilte ovale Rückfenster sah aus wie zwei (traurige) Augen, die in der Mitte darunter ausgestülpte Leuchte auf der Motorhaube war die Nase, das Nummernschild der Mund, und bisweilen wackelte das Ganze mit den Ohren – wenn oben ein Winker ausgefahren wurde (Blinkleuchten gab es erst ab 1960).

Später, aus Studentenzeiten, sind mir vor allem zwei Dinge erinnerlich. Anders als manche motorlich und elektronisch hochgerüsteten Limousinen, sprang ein Käfer auch bei extremster Kälte immer an. Notfalls half, wenn Freunde oder ein hilfreicher Passant hinten beim Motor ein paarmal auf die Stoßstange sprangen. Dafür war die Heizung ein Geduldspiel, vor allem im frostigen Stadtverkehr – doch manchmal sprang sie mitten im Hochsommer an, ließ sich von Laienhand nicht mehr auskriegen, weshalb man des öfteren nackte Füße oder Beine vorne aus den dreieckigen Seitenfenstern ragen sah.

Ohnehin verlangte ein Käfer von seinem Personal mitunter einige anatomische Verrenkungen. Das begann schon beim Beladen des Kofferraums hinter der schwer abklappbaren Rücklehne. Auch war der „tolle Käfer“, trotz seiner film-mythischen Qualitäten, nie wirklich für die Liebe gemacht. Vielleicht lag das aber an uns Deutschen, die wir immer bewundert haben, wie der winzige Fiat 500 (das Mäuschen, der Topolino) die Italiener vor dem Aussterben bewahrt hat.

Merkwürdig ist ja: Ausgerechnet eine Idee Hitlers, der im Juli 1934 dem legendären Ferdinand Porsche die Konstruktion eines neuartigen „Volkswagens“ auftrug, hat es so lange zu solcher Popularität geschafft. Was auch daran liegen mag, dass wiederum Hitlers Krieg, der den bereits serienreifen ersten VW mit völlig verändertem Chassis in einen jeep-ähnlichen militärischen Kübelwagen verwandelte, den zivilen Volkswagen zunächst verhindert hat. Und 1945 sind es dann die Briten, die in Wolfsburg die Produktion jenes kleinen, bürgerlich unmartialischen Gefährts anschieben – dessen späteren Kosenamen übrigens die „New York Times“ erfunden haben soll. Erst über den „Beetle“ wurde der Käfer dann weltweit zum fahrbaren Insekt.

Die runde Form und ihr Welterfolg erscheinen uns heute wie ein Vorschein der Globalisierung. So weit haben es sonst nur Bluejeans, Pommes frites und Spaghetti gebracht. Ganz typischerweise stehen die Deutschen, die ja weder das Bier noch die Kartoffel erfunden haben, noch immer am besten als Autobauer da. Und so ist auch der Nachfolger des Käfers zum meistgebauten Fahrzeug geworden – letztes Jahr allerdings erst, als der Golf Nummer 21517415 den über zwanzig Millionen mal verkauften Rundling übertraf.

Aber was für ein Schock war das, als wir vor 19 Jahren erstmals jenen Käfer-Nachfolger im Verkehr erblickten. Eine austauschbar unansehnliche, eckige Blechkiste. Eine Designkatastrophe, dachten wir. Inzwischen hat der Golf allerdings seine Kanten verloren und sogar eine eigene Generation gezeugt. Doch zum Mythos fehlt dem erfolgreichen Käfer-Killer eine Sache, die man ersetzen, aber eben nicht verbessern kann.

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