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Kultur: In den Klauen der Gefühle

"O salziges Meer", schrieb der portugiesische Lyriker Fernando Pessoa, "wieviel von deinem Salz sind doch die Tränen Portugals." Immer wieder wird den Portugiesen ein ausgeprägter Hang zur Nostalgie nachgesagt, vor allem seit das ehemals seefahrende Volk seine letzten großen Kolonien verloren hat.

"O salziges Meer", schrieb der portugiesische Lyriker Fernando Pessoa, "wieviel von deinem Salz sind doch die Tränen Portugals." Immer wieder wird den Portugiesen ein ausgeprägter Hang zur Nostalgie nachgesagt, vor allem seit das ehemals seefahrende Volk seine letzten großen Kolonien verloren hat.Der Ozean, das Thema der vergangenen "Expo" in Lissabon, zeigte daher nicht nur den Ausblick ins nächste Jahrhundert, sondern spiegelte zugleich eine sehnsüchtige Rückschau auf die Glanzzeit der Metropole.Aus dieser Spannung zwischen Hoffnung und Melancholie nährt sich auch der Fado, der Ende des letzten Jahrhunderts in der Unterstadt von Lissabon entstanden ist.Die Bezeichnung geht zurück auf das lateinische Wort "fatum", was soviel heißt wie Schicksal oder Verhängnis.Dabei geht es natürlich weniger um den Verlust einer jäh geschwundenen Weltmacht, als vielmehr um ein allgemein menschliches Los.Oder doch zumindest um die klagende portugiesische Seele.

Für das feierliche Eröffnungskonzert der "Expo" im letzten Frühjahr wollte man sich jedenfalls nicht allein mit dem modernen Fado-Quintett Madredeus begnügen, als Magnet für das internationale Publikum mußte noch der spanische Tenor José Carreras hinzukommen.Weil Carreras aber zusammen mit der perlenden Stimme Teresa Salgueiros sang, sprach man vom Aufstieg des Fado in die hehre Gattung des Kunstlieds.Und zugleich von seiner Renaissance.Paradoxerweise ist dabei Amßlia Rodrigues, die große alte Dame des Fado, entthront worden.Denn heute ist der Fado nur noch die Idee eines Genres, das von einer jungen Generation von Musikern neu erfunden wird.

Dazu gehört auch Mísia, die Sängerin mit der gekanteten schwarzen Frisur."Der Fado", behauptet sie selbstbewußt, "ist weiblich.Die Frauen singen ihn besser, weil sie den Schmerz, die Tragödie oder einfach die Lebenszyklen besser zum Ausdruck bringen können." Mísia, die sich den Namen einer legendären Pariser Muse und den Look einer Coupletise aus den Zwanzigern zugelegt hat, verkörpert die schöne, aber kühle Madame des Fado.Ihr Gesang klingt so aufgewühlt wie die kabbelige See am Polarkreis.Und die "Klauen der Gefühle" - so der Titel ihres aktuellen Albums - fahren wie Splitter umhertreibender Eisschollen in die Herzen der Zuhörer.

Vielleicht ist Mísia aus diesem Grund in ihrer Heimat jahrelang nicht beachtet worden.Außerdem hat die Tochter eines Portugiesen und einer Katalanin lange Zeit in Barcelona gelebt.Dort tingelte sie als Showsängerin und experimentierte mit allen möglichen Spielarten des Fado.Doch mit Fado aus der Ferne geben sich die Daheimgebliebenen generell nicht zufrieden.So kehrte Mísia zurück nach Portugal und verpaßte dem Genre ein streng klassizistisches Gewand.Sie lehnt Synthesizer als "Elektrowaren" ab und läßt sich am liebsten von zwei traditionellen Gitarren begleiten, die den Gischt der klagenden See in wundervoll ziselierte Silbertropfen verwandeln können.Und wenn diese Formation durch Violine, Akkordeon, Kontrabaß und Piano ergänzt wird, kommt eine Mischung aus Kammermusik und zerkratzten Tangos zum Vorschein.Mísia singt dazu Texte von zeitgenössischen portugiesischen Dichtern wie Pessoa oder José Saramago, denn gerne sucht der Fado die bildhafte Darstellung seiner Gemütslage in der bukolischen Lyrik.

Wo jedoch die Dichter ihr Gefühl vergeistigen, gelingt es Mísia nicht immer, deren Gedanken auch zu versinnlichen.Wenigstens hat sie nach umjubelten Tourneen durch die halbe Welt inzwischen den Durchbruch in Portugal geschafft.Und in Hamburg soll sie mit dem eindringlichen Vibrato ihrer Stimme sogar einige Männer zum Weinen gebracht haben.Genau darin liegt die Kunst des Fado: Inszenierte Schwermut vor der Klangkulisse des Meeres.

Mísia singt heute um 22 Uhr im Haus der Kulturen der Welt

ROMAN RHODE

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