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Kultur: In den Kulissen des Welttheaters

„Max Beckmann, ein Maler in der Geschichte“: Die Retrospektive des Pariser Centre Pompidou feiert den deutschen Künstler – und hebt ihn in den Olymp

Von Bernhard Schulz

Ein Leben lang hat Max Beckmann davon geträumt, in Paris Anerkennung zu finden. Seltsam eigentlich; denn in Deutschland genoss der Maler doch uneingeschränkte Würdigung als einer der Protagonisten der so ungemein reichen kulturellen Blüte der Weimarer Republik, während Frankreich sich selbstzufrieden in ererbtem Glanz spiegelte. Doch in Frankfurt, wohin Beckmann sich 1915 in seiner existenziellen Krise durch das Erlebnis des Weltkriegs zurückgezogen hatte und zu einem Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens mit Professur an der Städelschule aufstieg, fand er keinen ihm gemäßen Widerpart, und den deutschen Strömungen, ob Expressionismus oder Neuer Sachlichkeit, fühlte er sich überlegen. So blieb als Maßstab zuallererst Picasso.

Von 1929 an konnte Beckmann, in Deutschland mit Preisen überhäuft und mit wohlhabenden Sammlern gesegnet, es sich leisten, den Winter in Paris zu verbringen, und noch 1939 – von den Nazis längst seiner Frankfurter Professur beraubt und im unübersichtlicheren Berlin untergetaucht – verbrachte er einen letzten Urlaub an der Côte d’Azur. Doch die Konfrontation mit Picasso – „Wenn man nur unsere Bilder einmal zusammen sehen könnte!“, seufzte er in Paris – kam nie zustande. Sein einziger Auftritt in einer namhaften Galerie erntete 1931 gleichgültige, wo nicht verständnislose Kritiken.

Das wiederholte sich, als Beckmann – 1950 in New York, seinem zweiten und endgültigen Exil verstorben – 1968 erneut in Paris vorgestellt wurde. Ignoranz, Unfähigkeit oder der alte, unausrottbare Nationalismus – „was auch immer die Erklärung sein mag, sie macht weder den Museen noch der französischen Kritik Ehre, beide offenbar unfähig, weiter zu blicken als auf die angenommenen Klassiker des 20. Jahrhunderts.“ So schreibt Philippe Dagan, der Kunstkritiker von „Le Monde“, heute – aus Anlass der Retrospektive, die das Centre Pompidou unter dem Titel „Max Beckmann, ein Maler in der Geschichte“ veranstaltet. Die Würdigung kommt spät, aber sie fällt umso deutlicher aus: „Beckmann ist einer der wesentlichen Maler des 20. Jahrhunderts, einer der tiefsten und einer der erfindungsreichsten.“

Der Tenor ist in allen Zeitungen derselbe. Eine – freilich selbstverschuldete – Lücke wird geschlossen. Die Ausstellung im Pompidou markiert eine Wasserscheide. Sie holt erstmals auf der Ebene des einzelnen Künstlers nach, was die grandiose Übersicht „Paris – Berlin“ im selben Haus vor 24 Jahren auf der Ebene des Kulturvergleichs bewirken konnte: eine unvoreingenommene, von nationalen Verengungen freie Wahrnehmung.

Der Zufall will es, dass der Besucher derzeit in Paris nachholen kann, was Beckmann zeitlebens verwehrt blieb: den direkten Vergleich mit den Großmeistern der französischen Kunst seiner Zeit. „Matisse – Picasso“ heißt die von der Londoner Tate Gallery übernommene Doppelausstellung (Tsp. v. 17. 7.), die jetzt im Grand Palais den Werdegang der beiden Künstler in strenger, bisweilen auch ermüdender Parallelität vorführt. Beide gelten seit jeher, unbeschadet ihrer gegenseitigen persönlichen Wertschätzung, als Antipoden: Matisse der Farbe, Picasso der Form verpflichtet; und damit die modernen Verfechter jenes die französische Kunst seit altersher prägenden Streits zwischen „Rubenisten“ und „Poussinisten“.

Das ist eine Ausstellung so recht nach dem Geschmack des französischen Geniekultes; kennerisch arrangiert und mit vielen Höhepunkten, die die Mühsal des Leihverkehrs auf viele Jahre hinaus kein zweites Mal erlauben wird. Und doch wird der Betrachter gewahr, dass die beiden Jahrhundertgiganten die eine Seite der Moderne bezeichnen, die der Formproblematik, exemplifiziert an ihren lebenslangen Hauptsujets der Stillleben, Akte und Interieurs.

Die andere Seite hat mit Inhalten und Aussagen zu tun. Der Realismus, in all seinen Spielarten der Wirklichkeitsschilderung und -kritik, bildet einen Hauptstrang der Kunst zwischen den Kriegen – wenn auch eben nicht in Frankreich. Es sei daran erinnert, dass das New Yorker Museum of Modern Art, einst unbestrittene Richtschnur, lange Zeit nur ein Bild gegenüber Picassos treuhänderisch verwahrter Klage „Guernica“ zuließ: Beckmanns Triptychon „Abfahrt“, bereits seit 1942 im Besitz des Museums. Im Centre Pompidou bildet das Dreiflügelbild erneut das logische Scharnier zwischen den beiden Phasen von Beckmanns Lebenswerk, der Zeit in Deutschland bis 1937 und jener in der Emigration in Amsterdam und später den USA. Erstmals hat der Künstler in der „Abfahrt“ seinen „metaphysischen Realismus“ zu voller Reife geführt.

Die Fülle der Motive, der Symbole und Allegorien als „teutonische Schwere“ zu verachten wie noch 1968, wird heute niemandem mehr in den Sinn kommen. Beckmanns „Welttheater“ ist gewiss alles andere als eingängig, auch die Pariser Ausstellung erleichtert mit diskret angebrachten Hinweisen das Verständnis. Aber das ist ja nur die eine Seite dieser Malerei. Die andere ist die peinture. Selbst wenn man mit den Mythen, die Beckmann teils aufs Neue erzählt, teils aus seinen eigenen Träumen schafft, nichts anfangen mag, so bleibt doch der Eindruck seiner malerischen Kraft gewaltig.

Die Entwicklung von den abgebrochenen Versuchen des Jahres 1917, noch einmal religiöse Monumentalmalerei zu schaffen („Kreuzabnahme“), über die expressiv gedrängten, fahlen Figuren des Horrorbildes „Die Nacht“ von 1918 zu den bewusst einfachen Kompositionen der frühen zwanziger Jahre wird in Paris eindringlich vorgeführt. Die Farben hellen sich auf, ihre Kontraste werden gesteigert; dann entdeckt Beckmann das Schwarz als Farbe von suggestiver Tiefe, ein Schwarz wie bei Manet.

Oder wie bei dem Einzelgänger Rouault, dessen Werk Beckmann seit 1925 aufmerksam verfolgt. Überhaupt hat der Deutsche die Arbeit der französischen Kollegen stets genau im Blick behalten. Seine eigene Entwicklung ist ohne diese Auseinandersetzung nicht zu denken, wie die Züricher Ausstellung „Max Beckmann und Paris“ erst 1998 eindrucksvoll belegte – eine Ausstellung übrigens, für deren Übernahme sich kein Pariser Institut interessierte. Das Versäumnis wiegt schwer; denn die jetzige Übersicht im Centre Pompidou, so viel Zuspruch sie auch bei Kritik wie Publikum findet, könnte auf einem stärkeren Fundament aufbauen, wäre dieser deutsch-französische Austausch einmal vor Augen geführt worden.

Es wäre dann auch deutlicher, worin Beckmanns singuläre Leistung besteht. Über Stilleben, Landschaften und Portraits hinaus – die er weit meisterlicher beherrscht, als es ein verengter Blick auf den „Metaphysiker“ wahrhaben will – sucht Beckmann stets ein Bild seiner Zeit zu formen, und das heißt ein spezifisches Bild der Moderne. Das reicht von der Summe, die er in der „Nacht“ aus den Wirren der gescheiterten deutschen Revolution zieht, über die ins Überzeitliche gehobene Erkenntnis des Epochenbruchs der NS-Herrschaft in der „Abfahrt“ bis hin zu der staunend-schwindligen Allegorie New Yorks im späten Bild „Die Stadt“ von 1950. Für Picasso war „Guernica“ eine Ausnahme, ansonsten spielte er, unerschöpflich kreativ, mit dem Themen- und Motivkanon, den die Geschichte der Malerei bot; und vollends Matisse, dessen Kolorismus Beckmann so viel abgeschaut hat, blieb ein Klassiker im modernen Gewand. Beckmann hingegen löste die Forderung ein, der Künstler müsse seiner Zeit angehören. Er war Zeitgenosse, ohne sich als Chronist zu erschöpfen.

Die von Didier Ottinger hervorragend ausgewählte Ausstellung des Pompidou wird gegliedert durch Videosequenzen, die die Erschütterungen des Zeitalters durch zwei Weltkriege, durch Amüsement und Hochhäuser geradezu körperlich spürbar machen. Das genau sind die Kulissen, in denen Beckmanns metaphysisches Welttheater spielt. Es bleibt eine Metaphysik mit Bodenhaftung. Mit seinem späten Pariser Auftritt wird Beckmanns einzigartiger Rang als Maler nicht der, sondern in der Geschichte eindrucksvoll befestigt.

„Beckmann“ im Centre Pompidou, Katalog 56 €. „Matisse – Picasso“ im Grand Palais, Katalog 45 €. Beide Ausstellungen bis 6. Januar.

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