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Kultur: In der Kathedrale des Wissens Ein Gedenkblatt zum 100. von Otto von Simson

Was ist eine große Gestalt im geistig-kulturellen Leben einer Stadt? Eine Frage von Mandat oder Amt ist es vielleicht am wenigsten.

Was ist eine große Gestalt im geistig-kulturellen Leben einer Stadt? Eine Frage von Mandat oder Amt ist es vielleicht am wenigsten. Eher ist es die Verflechtung von Persönlichkeit, Engagement und Glaubwürdigkeit. Wer dieses Prädikat gewinnt, der wirkt, gewiss doch, durch Klugheit des Urteils und durch die Überzeugungskraft seiner Einsichten, aber immer auch durch seinen Charakter und die Ausstrahlung seines Auftretens. Er wird wahrgenommen als eine Kraft, die inspiriert, fördert, ermutigt. Nicht zuletzt im Rückblick – da bleibt eine Erinnerung, die nachhallt.

Otto von Simson, der vor 100 Jahren, am 17. Juli 1912, in Berlin geboren wurde und 1993 in dieser Stadt starb, hatte dieses Format. Er war Kunsthistoriker, ein bedeutender seines Fachs, doch keineswegs auf populärem Feld: Zu seinen Forschungsgebieten gehörte das Mittelalter, den gotischen Kathedralen galt sein wichtigstes Buch. Noch nach seinem Tode erschien eine Monografie über Rubens, seinen Lieblingskünstler. Er führte ein Professoren- und Gelehrtenleben nach fast altmodischem Muster und war doch immer auch ein Mann des öffentlichen Lebens, Kulturdiplomat, Hochschulpolitiker, unverdrossener Mitdenker, Gesprächspartner und Anreger.

Über viele Jahre leitete er die Delegation der Bundesrepublik bei der Unesco-Kommission. Aber die Spuren seines Wirkens finden sich vor allem in Berlin. Ohne ihn wäre zum Beispiel die Rettung des Watteau-Bildes „Einschiffung nach Cytheria“ für die Berliner Museen kaum gelungen, die 1983 ein weithin sichtbares Zeichen setzte. Denn der Erwerb dieser Leihgabe, die verkauft werden sollte, stellt ein frühes Beispiel für eine öffentliche, von Kulturinstitutionen und der Wirtschaft getragene Aktion zur Bewahrung eines Kunstwerkes dar. Zugleich war sie Anstoß zur Gründung des Freundeskreises der Preußischen Schlösser und Gärten, dessen Vorsitz von Simson dann bis zu seinem Tod innehatte. Außerdem gründete er – in jungen Jahren zum Katholizismus konvertiert – die Guardini-Stiftung für den Dialog von Glauben, Wissenschaft und Kunst. Nicht zuletzt beförderte er bereits vor der Wende das Nachdenken über die Stadtplanung am Reichstag sowie nach dem Mauerfall die Diskussion über das Zusammenwachsen der Berlin-Potsdamer Kulturlandschaft.

Das alles verbindet sich mit der Erinnerung an eine Persönlichkeit, die Richard von Weizsäcker mit einem kühnen Bild „ein tätiges Prisma europäischer Kultur in ihrem umfassenden Sinne“ nannte. Alle, die ihm begegneten, beeindruckte die von ihm gelebte Synthese von Humanität und Beharrlichkeit, von Tatkraft und Kontemplation, nicht zuletzt die Liebenswürdigkeit, mit der er in seinem bescheidenen Dahlemer Bungalow Hof hielt.

Dabei schreckte er vor Konflikten nicht zurück. Nachdem er sich 1964 für den kunsthistorischen Lehrstuhl an der FU hatte gewinnen lassen, stellte er sich 1967/68 als Dekan der Philologischen Fakultät kompromisslos dem studentischen Aufbegehren entgegen. Und beendete in dieser stürmischen Zeitspanne zugleich den Band „Das hohe Mittelalter“ für die Propyläen-Kunstgeschichte.

Simson hing an Berlin, weil es – wie er kurz vor seinem Tode in dieser Zeitung schrieb – die einzige Hauptstadt sei, „die ein Schicksal besitzt“. Aber ein Schicksal hatte er selbst. Der Urenkel des Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung wuchs im Berliner jüdischen Großbürgertum auf und musste 1938 emigrieren. Die Universitätskarriere in den USA gab er auf, um dazu beizutragen, dass „das geistige Potential Deutschlands“ wieder sichtbar würde. Die Erinnerung an ihn gilt auch einem Mann, der mit seiner Rückkehr und seinem Leben mit der Stadt nochmals die Botschaft einer denkwürdigen, verlorenen Epoche Berlins zur Geltung brachte. Kein Stolperstein – ein Eckstein. Hermann Rudolph

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