zum Hauptinhalt

Kultur: In der Peep-Show öffentlicher Kunst

"Frohe Zukunft" heißt eine in den zwanziger Jahren angelegte Gartensiedlung an der Peripherie von Halle.In dieser Bezeichnung schwingen die Hoffnungen der Avantgarde auf menschliches Bauen und Wohnen mit, auf Verwirklichung der Bauhaus-Philosophie ebenso wie der Entwürfe Bruno Tauts für den Magdeburger Städtebau oder auch der neuen Ideen zur Formgestaltung, wie sie damals auf der Burg Giebichenstein entwickelt wurden.

"Frohe Zukunft" heißt eine in den zwanziger Jahren angelegte Gartensiedlung an der Peripherie von Halle.In dieser Bezeichnung schwingen die Hoffnungen der Avantgarde auf menschliches Bauen und Wohnen mit, auf Verwirklichung der Bauhaus-Philosophie ebenso wie der Entwürfe Bruno Tauts für den Magdeburger Städtebau oder auch der neuen Ideen zur Formgestaltung, wie sie damals auf der Burg Giebichenstein entwickelt wurden.Von hier leitet auch die Multimedien-Schau "Verlängerte Frohe Zukunft" ihren ebenso ironisch wie ernsthaft gemeinten Titel ab.Knapp dreißig Künstler aus Sachsen-Anhalt und anderen Bundesländern haben sich mit Geschichte und Räumlichkeiten der Moritzburg, der einst fürstbischöflichen Festung und dem heutigen Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalts, auseinandergesetzt.Sie schufen Installationen, entwarfen Projekte, die Bezüge herstellen zwischen dem spätmittelalterlichen Bau und den dort gezeigten Kunstwerken.

Die Poesie des Konkreten oder das Konkrete der Poesie veranschaulicht Ludwig Ehrler in der Ruine des Westflügels: Ein riesiges Feld aus 2500 Kunst-Sonnenblumen wiegt sich rhythmisch hin und her, als ob es vom Wind bewegt würde.In einem eigens errichteten White Cube, der in seiner nüchternen Sachlichkeit einen Gegenpol zu den ornamentalen Kunststilen der Moritzburg bildet, entfaltet Erich Reusch seine Installation "Fehlgeschlagener Versuch", die Notwendigkeit und Scheitern künstlerischer Utopien thematisiert.Während mitunter die Inszenierungen dem Material Bedeutung förmlich aufpfropfen, schafft Coco Kühn ein Stück konzeptuelle Fotografie, indem sie sich mit dem Thema Lagern beschäftigte.Sie fotografierte Regale in den verschiedenen Sammlungen der Moritzburg.Das System des Industriefotos wird selbst zum Regal, Sammeln und Ordnen zur Folie künstlerischen Arbeitens.Wieland Krause wiederum nutzt das Video als Dokumentationsmittel für seine Archivierungsarbeit, so wenn er den Betrachter in schmerzhafter Schärfe erleben läßt, wie sich die einst größte Gewächshausanlage Europas durch das Abschalten des Kraftwerk Vockerode in einen Scherbenhaufen verwandelte.

Da der Stadtraum Halles und Magdeburgs reich an Skulpturen und Wandbildern ist, darunter auch schreckliche aus der DDR-Zeit, die kaum noch von der Bevölkerung wahrgenommen werden, hat Dagmar Schmidt manipulierte Fernrohre aufgestellt.Sie hinterfragt das Thema "Kunst im öffentlichen Raum" wie in einer Peep-Show.Ulf Aminde dagegen betreibt seine Selbstinszenierungen an geschichtsträchtigen Orten der Region in Gestalt von Postkarten.Indem er auf Altlasten verweist, die verdrängt werden, trifft er den Nerv der Zeit.Vor dem ruinösen Ambiente Bitterfelds vermeldet er mit bitterem Sarkasmus: "Ich bin ein Schauplatz von Welt."

Als "Kleinunternehmer" stellt Norbert Meissner Bild-Präsentationssysteme her.Sie setzt sich in einer CD-ROM mit dem Status des Künstlers als Dienstleister von Cranach bis heute auseinander.Mit dem Luther-Mythos und der Wittenberger Reformation als frühem Medienereignis beschäftigt sich Dagmar Varady-Prinich in einer Postkartenserie und Lichtprojektion.Zusammen mit Künstlerkollegen hat Moritz Götze in einem Turmgemach sein "Moritzuniversum" installiert, eine lustvolle Dada-Inszenierung von Fundobjekten.Sie weitet sich zu einer Entdeckungsfahrt in das Land Sachsen-Anhalt und erörtert das Selbstverständnis der Region.Klaus Völker schließlich verabreicht kunstgeschichtliche Theorie als kulinarische Häppchen in seinem "Sauerlandt-Imbiß", so genannt nach dem Hallenser Museumsleiter Max Sauerlandt, der seinerzeit Strategien der Kunstvermittlung entwickelte, an die auch Völker mitseiner Video-Installation anknüpft.Olaf Nicolai erkundet den Handlungsspielraum des Künstlers als Designer von Lebenswelten.Er wirbt für sein Produkt "smell", ein Parfüm für Bäume, das er für die Bundesgartenschau in Magdeburg entwickelte.

Die traditionellen Gattungen Malerei, Grafik und Plastik sind kaum vertreten.Alles Unbedeutende, Zufällige, Unverbindliche scheint in den als Objekte geschaffenen Tafelbildern von Imi Knoebel und Georg Herold, in Otto Möhwalds Atelierbildern mit ihren "Räumen im Raum" und auf den Wandbehängen mit Zeichnungen von Olaf Wegewitz getilgt.Die Reduktion geht so weit, daß die Faktizität des Dings an sich in Transzendenz umschlägt.Ist also das goldgerahmte Software-Porträt Andreas Löschner-Gornaus, das er als Bildnis eines unbekannten niederländischen Meisters aus dem 15.Jahrhundert ausgibt, bloßer Gag oder hat es tiefere Bedeutung? Das Selbstbildnis kann sogar sprechen: Es unterhält sich mit benachbarten Porträts, ebenso mit dem Betrachter, um ihn sich zu erziehen.

Die Künstler arbeiten mit Zitaten und Zeichen, Bedeutungen und Attitüden, mit dem unerschöpflichen Arsenal reproduzierter Bilder, mit Lichterscheinungen, Ornamenten und architektonischen Grundmustern, mit elektronischen Medien.Die Verfügbarkeit beliebig vieler Bilder in kürzester Zeit fordert ihnen immer wieder neue Verführungs- (oder Verweigerungs-)techniken ab.Der Künstler ist Sammler und Jäger, Forscher, Archivar und Modell, Inszenator, Requisiteur, Beleuchter, Installateur, Handwerker, Fernsehvoyeur, Fotograf, Designer, Architekt, Kunstmanager und -unternehmer.Dabei droht er mitunter die Kontrolle über seine Arbeit und ihre angemessene Dimensionierung zu verlieren.

Staatliche Galerie Moritzburg, Halle, bis 18.Mai.

KLAUS HAMMER

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false